Richtungsweisende Stichwahl in Chile

Richtungsweisende Stichwahl in Chile

Berlin, Santiago de Chile (epd). Etwa 14 Millionen Stimmberechtigte in Chile waren am Sonntag aufgerufen, in der Stichwahl den neuen Präsidenten zu bestimmen. Erstmals seit Ende der Militärdiktatur 1990 streiten nicht Vertreter der traditionellen Zentrumsparteien um das höchste Staatsamt. Laut Umfragen lieferten sich der frühere Studentenführer Gabriel Boric und der rechtskonservative Jurist José Antonio Kast ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Bei der ersten Wahlrunde am 21. November hatte keiner der beiden die erforderliche Mehrheit erhalten. Kast lag mit 28 Prozent der Stimmen knapp vor Boric (25 Prozent). Der konservative Amtsinhaber Sebastián Piñera konnte sich nicht noch einmal zur Wahl stellen.

Boric und Kast stehen für gegensätzliche Politikmodelle. Der 35 Jahre alte Jurist Boric, der für das linke Bündnis „Apruebo Dignidad“ (Ich stimme der Würde zu) antritt, will die neoliberale Wirtschaftspolitik beenden und die soziale Ungleichheit bekämpfen, unter anderem mit einer Stärkung des staatlichen Bildungs- und Gesundheitssystems.

Sein Kontrahent Kast von der rechtsnationalistischen Republikanischen Partei kandidierte bereits 2017 für das Präsidentenamt und punktete mit seinem Versprechen für mehr Sicherheit und wirtschaftliche Stabilität. Er will die Einwanderung bekämpfen, rechtfertigt militärisches Vorgehen gegen protestierende Ureinwohner im Süden des Landes und will die jüngst beschlossene gleichgeschlechtliche Ehe wieder abschaffen.

Die Wahlen finden in einem sozial aufgeheizten Klima statt, nachdem vor zwei Jahren Massenproteste gegen die grassierende Ungleichheit die Regierung Piñera zu zumindest geringen Zugeständnissen und einem Referendum über die Verfassung zwangen. Das derzeitige Grundgesetz stammt noch aus der Militärdiktatur (1973-1990) und soll nach dem Willen der Bevölkerung ersetzt werden.