Institut: Pandemie erschwert Wahrung von Menschenrechten

Institut: Pandemie erschwert Wahrung von Menschenrechten
Bald zwei Jahre Pandemie tun auch der Menschenrechtslage in Deutschland nicht gut. Andererseits hat der Rechtsstaat in vieler Hinsicht auch funktioniert, sagt das Menschenrechtsinstitut und fordert ein Gesetz für Triage-Situationen.

Berlin (epd). Die Corona-Pandemie erschwert auch in einem Rechtsstaat die Wahrung der Menschenrechte. Zu diesem Schluss kommt der aktuelle sechste Bericht zur Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland, den das Deutsche Institut für Menschenrechte am Donnerstag in Berlin vorstellte. Die Pandemie habe „eine große menschenrechtliche Dimension“, sagte Institutsleiterin Beate Rudolf und forderte unter anderem gesetzliche Regelungen für Triage-Situationen. Zu den Verschlechterungen während der Pandemie zählte sie, dass durch die Kontaktbeschränkungen zum Infektionsschutz Menschen in schwierigen Lebenslagen ihre Rechte nur schwer hätten wahrnehmen können, etwa gefährdete Jugendliche oder Opfer häuslicher Gewalt.

Insbesondere Kinder und Jugendliche seien in dem Berichtszeitraum von Juli 2020 bis Juni 2021 zu kurz gekommen, weil die Politik sie eher als „Treiber der Pandemie“ denn als Personen mit Rechten gesehen und bis heute nicht genug unternommen habe, um die erneute Schließung von Schulen und Kindertagesstätten zu verhindern, kritisiert der Bericht. Institutsleiterin Rudolf begrüßte vor diesem Hintergrund die Ankündigung der Ampel-Koalition, die Kinderrechte im Grundgesetz verankern zu wollen.

Der Bericht bilanziert auf der anderen Seite aber auch, dass der Rechtsstaat in der Pandemie in vielerlei Hinsicht funktioniert habe. So hätten Gerichte der übermäßigen Einschränkung von Grundrechten wie der Versammlungsfreiheit Einhalt geboten. Das Bundesverfassungsgericht hatte zu Beginn der Pandemie entschieden, dass Demonstrationen nicht pauschal mit Verweis auf den Infektionsschutz verboten werden dürfen.

Rudolf begrüßte in diesem Zusammenhang, dass die neue Ampel-Mehrheit die epidemische Lage nicht aufrechterhalten hat. Damit entscheide wieder das Parlament, welche Maßnahmen zulässig und verhältnismäßig seien. Andererseits hält Rudolf es nach eigenen Worten angesichts der hohen Infektionszahlen aktuell für problematisch, dass flächendeckende Schließungen wie bei einem Lockdown nicht möglich sind. Das erschwere die Pandemiebekämpfung.

Als eine besondere Herausforderung sieht das Menschenrechtsinstitut Triage-Situationen bei der Versorgung lebensbedrohlich erkrankter Patienten. Rudolf forderte die neue Bundesregierung auf, gesetzliche Regelungen zu schaffen. Ärztinnen und Ärzte hätten derzeit bei medizinischen Versorgungsengpässen nur unverbindliche Empfehlungen der notfallmedizinischen Fachgesellschaften, wie sie Patienten zur Behandlung auswählen sollten. Es müssten ihnen aber rechtssichere Kriterien an die Hand gegeben werden.

Die Empfehlungen benachteiligten alte Menschen und solche mit einer Behinderung, kritisierte Rudolf. Das sei diskriminierend. Alle Bürger müssten die Gewissheit haben, dass sie wegen ihres Alters oder ihrer Behinderung nicht von intensivmedizinischer Versorgung ausgeschlossen würden. Auch indirekt dürften diese Kriterien keine Rolle spielen, ebenso wenig wie der Impfstatus, sagte sie: „Man verliert seine Menschenwürde nicht dadurch, dass man sich unvernünftig oder unsolidarisch verhalten hat.“

Zur Vereinbarkeit von Impfpflichten mit den Menschenrechten sagte Rudolf, eine Impfpflicht für bestimmte Einrichtungen, wie sie der Bundestag an diesem Freitag verabschieden will, sei „gerechtfertigt, weil es um den Schutz von vulnerablen Menschen geht“. Ob dies auch für eine allgemeine Impfpflicht gelte, die ein Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ist, hänge von der Situation zum Zeitpunkt der Einführung ab, sagte sie. Sie könne aus menschenrechtlicher Sicht „als letztes Mittel gerechtfertigt sein“, wenn es anders nicht gelinge, die Impfquote zum Schutze aller zu erhöhen.