Hirnforscher Roth: Impfpflicht könnte Widerstände schüren

Hirnforscher Roth: Impfpflicht könnte Widerstände schüren
12.11.2021
epd
epd-Gespräch: Daniel Behrendt

Bremen (epd). Der Bremer Neurowissenschaftler Gerhard Roth ist skeptisch, dass eine Verschärfung von Maßnahmen gegenüber Ungeimpften oder eine Impfpflicht der Corona-Impfkampagne weiteren Auftrieb geben würden. „Wie eine Reihe von Politikern fürchte auch ich, dass sich ein erheblicher Teil der noch nicht Geimpften selbst unter Strafandrohung nicht impfen lassen würde“, sagte der einstige Direktor des Instituts für Hirnforschung in Bremen dem Evangelischen Pressedienst (epd). Im Gegenteil sei damit zu rechnen, dass härter werdende Sanktionen „zu wachsendem Widerstand beim Kern der Impfgegner“ führten.

Roth mahnte an, das Radikalisierungspotenzial dieser Gruppe ernst zu nehmen. „Einerseits gehört es zu den Merkmalen einer Demokratie, dass sich nicht alle Menschen herrschenden Normen oder Regeln unterordnen. Andererseits muss der Staat zumindest das größte Eskalationspotenzial in Schach halten, was in der gegenwärtigen Situation ein heikler Balanceakt ist“, sagte der Hirnforscher.

Erwiesen sei, dass „ein nicht unbeträchtlicher Teil der Bevölkerung“ durch sachliche Argumente nicht zu erreichen sei. „Die Grundhaltung dieser Menschen ist geprägt von Misstrauen und vermeintlicher oder tatsächlicher Unterdrückungserfahrung. Sie geht etwa mit der Überzeugung einher, die derzeit Herrschenden wollten die Menschen durch die Impfung vergiften.“ Jedes noch so einleuchtende Gegenargument sei für sie kein Anlass zum Umdenken, sondern „ein weiterer Beweis, dass man versucht, sie hinters Licht zu führen“, sagte er.

„Hinzu kommt, dass das Thema Corona politisch stark aufgeladen ist und die Einstellung zu den Corona-Maßnahmen von einigen Menschen als Frage fundamentaler Überzeugungen aufgefasst wird“, ergänzte Roth. Ein Gutteil dieser Menschen leide zwar nicht an Realitätsverkennung, sei aber aufgrund tiefsitzender gesellschaftlicher und politischer Grundsätze ebenfalls kaum von einer Impfung zu überzeugen. „Diese Menschen erleben sich nicht als Impfverweigerer, sondern als letzte Aufrechte, die ihren Grundsätzen felsenfest und gegen alle Widerstände und Sanktionen treu bleiben“, erläuterte Roth. „Das macht nachvollziehbar, warum sich einige Impfgegner als Teil einer bedrohten Minderheit fühlen oder sich gar mit Holocaust-Opfern vergleichen.“

Möglichen Strafen gegenüber Impfverweigerern erteilte Roth eine Absage. Eine Bestrafung werde in vielen Fällen als ungerecht empfunden und führe eher zu einer Verhärtung der Haltung als zu einem Sinneswandel. Der Staat solle sich davor hüten, „Impfverweigerer zu Märtyrern zu machen, sondern Sorge dafür tragen, dass in Teilen der Gesellschaft eine gefährliche Radikalisierung mit unberechenbaren Folgen vermieden wird“.