Armutsforscher: Auch gehobene Mittelschicht muss mehr abgeben

Armutsforscher: Auch gehobene Mittelschicht muss mehr abgeben
29.10.2021
epd
epd-Gespräch: Martina Schwager

Osnabrück, Köln (epd). Der Armutsforscher Christoph Butterwegge hält die sozio-ökonomische Ungleichheit für das „Kardinalproblem unserer Gesellschaft, wenn nicht der ganzen Menschheit“. Sie rufe ökonomische Krisen, ökologische Katastrophen, Kriege und Migrationsbewegungen hervor und berge sozialen Konfliktstoff, sagte der emeritierte Politikwissenschaftler der Uni Köln im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Wenn sie dagegen wirksam vorgehen wolle, müsse die Bundesregierung eine Politik der Umverteilung von oben nach unten praktizieren.

Dies schließe auch Steuererhöhungen ein. „Die würden nicht nur die ganz Reichen, sondern auch Menschen der gehobenen Mittelschicht betreffen, wozu ich mich auch rechnen würde“, betonte Butterwegge. Die Kinderarmut sei noch nie so hoch gewesen wie heute. 20,5 Prozent aller Kinder in Deutschland gälten nach EU-Maßstäben als armutsgefährdet. „Um solche Probleme zu lösen, reichen nicht ein paar kosmetische Korrekturen. Da helfen nur Strukturreformen, die ans Eingemachte gehen.“

Die Corona-Pandemie mit ihren Beschränkungen und Lockdowns habe vielen Menschen diese Ungleichheit erstmals vor Augen geführt. Sie zeige sich etwa beim Wohnen, beim Arbeiten, in der Gesundheit und in der Bildung. Arme Menschen hätten häufiger Vorerkrankungen und gehörten somit überproportional häufig zur Corona-Risikogruppe, sagte Butterwegge. Prekär Beschäftigte wie Werkvertragsarbeiter, die in in engen Unterkünften lebten oder am Fließband arbeiteten, hätten kaum Chancen gehabt, sich vor Ansteckungen zu schützen.

Wer diese Probleme beseitigen wolle, müsse „an ihrem materiellen Kern ansetzen“, sagte der Autor eines Buches über Kinderarmut. „Und dann kann es nicht so bleiben, dass der reichste Mann der Bundesrepublik, Dieter Schwarz, Eigentümer von Lidl und Kaufland, ein Privatvermögen von 41,8 Milliarden Euro hat und immer mehr Menschen schlafen auf de Straße oder unter Brücken, weil sie nicht das Geld haben, sich eine Wohnung zu mieten.“

Die in den Sondierungsgesprächen der künftigen Ampelkoalition in Aussicht gestellten Instrumente wie eine Erhöhung des Mindestlohns, eine Kindergrundsicherung und die Einführung eines Bürgergeldes anstelle von Arbeitslosengeld II könnten Butterwegge zufolge Schritte in die richtige Richtung sein. Allerdings bleibe die Frage, wie diese unter dem Einfluss der auf den Markt fixierten FDP ausgestaltet würden.