Laufen ist wie beten

Kirchenlauf in Bingen am Rhein. Der Junge mit der weißen Kappe ist der fünfjährige Julian.
Foto: Sandra Schildwächter
Kirchenlauf in Bingen am Rhein. Der Junge mit der weißen Kappe ist der fünfjährige Julian.
Laufen ist wie beten
Sie haben es geschafft: Über 500 Läufer und Unterstützer waren allein aus den Kirchen beim vierten Binger Firmenlauf dabei. Damit haben die Läufer nicht nur eine Challenge der reformaction2017-Kampagne gewonnen, sondern auch eine neue spirituelle Dimension entdeckt.

Die Spätnachmittagssonne scheint auf die Open-Air-Kirche im Park am Mäuseturm am Rheinufer in Bingen. Gleich wird sich die Pfarrerin der Christuskirche ihren Talar überziehen und 185 Läufer für das Team der Kirchen beim vierten Binger Firmenlauf an den Start schicken. "Laufen ist für mich Zugang zu vertiefter Spiritualität", sagt Pfarrerin Tanja Brinkhaus-Bauer. Sie trägt türkisfarbene Laufschuhe, eine mit Blumen gemusterte graue Sporthose und ein lilafabenes T-Shirt, auf dem steht: Kirche in Bewegung.

Firmenlauf in Bingen am Rhein. Pfarrerin Tanja Brinkhaus-Bauer, Eugen Eckert und Norbert Kley.

Die evangelische und katholische Kirche stellen das größte Team während des Firmenlaufs. Und auch das mit der größten Altersspanne. Julian ist fünf Jahre alt, er läuft zusammen mit seinen Eltern und seinem Bruder Felix. Ob er schon oft gelaufen ist? "Nich so", nuschelt Julian und verschwindet mit Felix zwischen den Großen. Barbara Heinzen ist 68 Jahre älter als Julian, sie ist die älteste Teamläuferin. Sie macht mit, weil die Pfarrerin sie dazu motiviert hat: "Wenn man der Pfarrerin helfen kann, macht man das", sagt sie.

Seit Ende März trafen sich jeden Montag rund 20 Interessierte am Rhein unter den Weinterrassen der Burg Klopp zum Training. Die Pfarrerin gestaltete einen Impuls zu Beginn, Astrid und Matthias Krolla vom Katholischen Sportverein DKJ heizten den Teilnehmenden sportlich ein und die Pfarrerin schloss, wenn alle wieder da waren, mit einem Segen. Vor dem ersten Treffen hatte Barbara Heinzen die Sorge nicht durchzuhalten. "Und dann bin ich direkt beim ersten Mal fünf Kilometer gegangen". Astrid Krolla vom DKJ lobt, wie begeistert die Läufer der Gruppe gewesen seien. Und auch für sie selbst, eine routinierte Läuferin, seien die Montagstreffs etwas Besonderes gewesen: "Das ist ein ganz anderes Laufen mit dem spirituellen Rahmen. Ich habe da viel für die Woche mitgenommen."

Im vergangenen Jahr hat Tanja Brinkhaus-Bauer sich gefragt, wie Körper und Geist zusammenwirken? Sie habe viel gebetet und viel Sport gemacht. "Wenn ich laufe, dann betet erst mein Körper und dann auch meine Seele." Auslöser für ihre Frage sei auch das Reformationsmotto der Evangelischen Kirche in Hessen-Nassau. Es lautet "Gott neu entdecken" – den Auftrag nimmt Brinkhaus-Bauer gerne an. Sie ist Pfarrerin der evangelischen Christuskirchengemeinde Bingen. Als ihr die Evangelische Jugend vorschlug beim Firmenlauf mitzulaufen, war ihr Ehrgeiz gepackt. 500 Leute wollte sie mobilisieren, für 500 Jahre Reformation – und für die reformaction-Challenge, eine Aktion von evangelisch.de, die das Reformationsjubiläum begleitet. Nun hat sie mit ihren katholischen Kollegen 185 Laufende und rund 325 Unterstützende gewonnen, die auf der Wiese am Rhein an ihren lilafabenen Tüchern zu erkennen sind. Macht zusammen 510 Menschen. Damit gilt die Challenge auf reformaction2017 als geschafft.

Gottesdienst vor dem Lauf in Bingen am Rhein. Eugen Eckert motiviert die Läufer.

Kurz vor dem Start versammeln sich die Träger des lilafarbenen-T-Shirts im Halbrund der Freiluftkirche, eine Band singt: "Wir wollen aufstehen, aufeinander zugehen". Der Sportlergeist lässt die Leute aufstehen, mitwippen, mitsingen. Eugen Eckert ist Referent der EKHN für Kirche und Sport, er ist aus Frankfurt angereist und ermutigt die Läuferinnen und Läufer: "Das hier ist sowas wie ein Training für den großen Plan Gottes."

Gespannte Gesichter, Vorfreude, Startschuss

Eckert war als Kind Mitglied einer Freikirche, "da durfte man nicht spielen, sich nicht sportlich betätigen". Heute ist er froh über die Befreiung, denn genau wie Tanja Brinkhaus-Bauer, empfindet auch er Laufen als eine Form von Beten. In der christlichen Mystik beginne Spiritualität mit Staunen, sagt Eckert. Auch das lerne man beim Laufen, wenn man zuerst über sich selbst staune, dann über die Natur und über Begegnungen mit anderen. Mit dem Vers "Du stellst meine Füße auf weiten Raum" aus Psalm 31 entlässt er die Sportler auf ihren Weg zum Start.

Barbara Heinzen

"Ich weiß gar nicht, wo es lang geht", sagt der Jugendliche Niko. "Immer gerade aus", scherzt Barbara Heinzen. Am Start des Firmenlaufs nimmt sie der obligatorische Moderator überzogen herzlich in Empfang. Das Ziel vieler Kirchenläufer ist vor allem durchzuhalten. Gespannte Gesichter, Vorfreude, Startschuss!

Die Läufer sind reformatorisch unterwegs, Kirche in Bewegung steht auf ihren T-Shirts. Ein Kirchenvorstand hat seine Sitzung ausfallen lassen, Kolleginnnen der Caritas aus Bingen laufen gemeinsam los. Die Kirche ist an diesem Tag überall zu sehen. Lilafarbene T-Shirts, lilafarbene Tücher. Unter denen die anfeuern, ist auch der Rabe Abraxas aus der Kinderkirche der Christuskirche in Büdesheim. "Die Kinder kennen mich, die freuen sich, wenn ich ihnen zujubele", sagt der Rabe.

Im Kirchenteam laufen Geflüchtete mit, auch bei der Volkshochschule sind die Deutschkurse mit Geflüchteten und Lehrern am Start. Eine Mutter läuft mit ihrem Kleinkind auf dem Rücken. Als sich der erste große lilafarbene Pulk dem Ziel nähert, schallt es "Kirche, Kirche, Kirche!" über den Platz. Der Lauf wird auch noch über diesen 28. Juni 2017 hinauswirken. Die Organisatorinnen des Kirchenteams haben Spenden für das Presbyterische Jugendzentrum "Amour des Jeunes" in Ruanda gesammelt. Dort arbeitet die Vorsitzende der Evangelischen Jugend Momo Butz gerade in einem Freiwilligendienst.

Als Tanja Brinkhaus-Bauer nach fünf Kilometern und 32 Minuten im Ziel ankommt, resümiert sie: "Es war unglaublich motivierend, gemeinsam mit so vielen Menschen in lilafarbenen T-Shirts zu laufen." Einer der acht laufenden Pfarrerskollegen ergänzt: "Ich hätte nicht gedacht, dass Gott mir so viel Weite gibt." Auch Barbara Heinzen ist überrascht: "48 Minuten – ich? Super!" Als sich das Team zum Gruppenfoto versammelt, dröhnt der Moderator: "Hallo, da kommt noch eine Schwester von euch!" Da bricht Jubel aus, es wird gefeiert, dass alle den Lauf geschafft haben. Es gibt Süßigkeiten für alle.

Firmenlauf in Bingen am Rhein mit 510 Unterstützern der evangelischen und katholischen Kirche.

"Schade, dass es vorbei ist", sind sich fast alle einig. Die T-Shirts bleiben – vielleicht kommen sie schon im Herbst beim Binger Stadtlauf wieder zum Einsatz. Oder einfach so beim Sport. "Werbung für die Kirche auf andere Weise", freut sich die Pressereferentin des Dekanats Ingelheim. "Schön war es, nächstes Jahr wieder" – das sagen sowohl die Alten als auch die Jugendlichen. Und dann steht hoch über der Feier auf einmal ein Regenbogen. Als würde sich Gott mit den Läuferinnen und Läufern freuen.