Zwischen Arbeiterbaracken und Gruppenreferaten

epd-bild/Rolf Zoellner
Teilnehmer der diesjährigen Jugendbegegnung des Deutschen Bundestages in der Ausstellung des ehemaligen NS- Zwangsarbeiterlagers und heutigen Dokumentationszentrums Berlin-Schöneweide.
Zwischen Arbeiterbaracken und Gruppenreferaten

Das Thema NS-Zwangsarbeit findet in der Öffentlichkeit oft wenig Beachtung. Dabei lagen viele Lager zentral in den Städten. Etwa in Berlin. Dort nehmen sich junge Menschen auf Einladung des Bundestages Zeit - für Historisches und neue Begegnungen.

Berlin (epd)In der Baracke 13 des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers im Berliner Stadtteil Schöneweide ist die Luft kühl und feucht. Die rund 80 Teilnehmer der Jugendbegegnung müssen sich dicht zusammendrängen, um in einem der insgesamt zwölf Barackenräume Platz zu finden. "In der Baracke 13 waren etwa 200 Zwangsarbeiter untergebracht. Ihnen standen drei Waschbecken zum Duschen und Säubern der Kleidung zur Verfügung", erklärt Jochen Pannen, Mitarbeiter des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit. Interessiert hören ihm die jungen Erwachsenen zu. Von überall aus der Welt sind sie angereist, um an der 20. Jugendbegegnung des Deutschen Bundestages teilzunehmen, dieses Jahr zum Thema "Zwangsarbeit während des Nationalsozialismus".

Vortrag über die Überlebensstrategien

Vor der Jugendbegegnung kannten sich Adam, Prettany, Hermann, Melissa und Niklas nicht. Die fünf jungen Erwachsenen kommen aus den USA, Frankreich und Deutschland. Bei der Besichtigung des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit sollen sie gemeinsam einen Vortrag über die Überlebensstrategien der Zwangsarbeiter in dem ehemaligen Arbeitslager erarbeiten. Sofort machen sie sich mit Eifer an die Arbeit. Was die Jugendlichen eint, ist ihr Engagement gegen Rassismus und ihr Interesse an der deutschen Geschichte. Darum freuen sie sich auch besonders, am Mittwoch bei der Gedenkstunde im Deutschen Bundestag anlässlich des 'Internationalen Tages des Gedenkens an die Opfer des Holocaust' (27. Januar) teilnehmen zu dürfen.

Bereits seit Freitag vergangener Woche beschäftigen sich die jungen Erwachsenen zwischen 17 und 24 Jahren täglich mit einem anderen Aspekt zum Thema NS-Zwangsarbeit. Am Wochenende haben sie die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora in Nordhausen besichtigt. Die Jugendbegegnung des Deutschen Bundestages ist ein Projekt, das seit 1997 Jugendliche aus aller Welt dazu einlädt, sich gemeinsam mit der deutschen Geschichte zur Zeit des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen.

Auch Justyna Sendarek möchte mit Hilfe der Jugendbegegnung ihr Wissen über die deutsche Geschichte erweitern: "Ich habe schon jetzt so viel Neues erfahren", sagt die 23-jährige Germanistik-Studentin aus Krakau. Für ihre Masterarbeit beschäftigt sie sich mit der deutsch-polnischen Zusammenarbeit beim Denkmalschutz nach 1945. Ihre Dozentin habe sie für die Teilnahme an der Jugendbegegnung vorgeschlagen. Dafür ist ihr Justyna sehr dankbar. Denn: "Wenn man so eine Baracke wie in dem Arbeitslager sieht, kann man sich viel besser und mitfühlender in die Situation der Zwangsarbeiter hineinversetzen."

Persönlicher Bezug zur NS-Diktatur

Grundsätzlich müssten sich die Jugendlichen für die Teilnahme an der Jugendbegegnung gegen Antisemitismus engagieren, beispielsweise in Organisationen, Initiativen oder auch im Rahmen eines Studiums, erklärt Jochen Guckes, Organisator des Projekts. Die jungen Erwachsenen würden dann von den Partnerorganisationen des Bundestages vorgeschlagen.

Unter den diesjährigen Teilnehmern sind sogar einige, die einen ganz persönlichen Bezug zur NS-Diktatur haben - wie beispielsweise Hermann Michel. Der Journalistik-Student aus Paris erzählt, sein Großvater sei ein italienischer Widerstandskämpfer gegen den faschistischen Diktator Benito Mussolini gewesen. Allein deshalb sei es für ihn auch so wichtig, sich gegen Rassismus einzusetzen. Auch für die 17-jährige Schülerin Melissa Quint aus Köln dient die Jugendbegegnung dazu, ihre eigene Familiengeschichte aufzuarbeiten: "Mein Opa war in Auschwitz. Er war Halbjude. Er hatte als einziges von sechs Familienmitgliedern überlebt."

Neben den vielen neuen Eindrücken und Informationen möchten die Jugendlichen auch Kontakte zu Gleichgesinnten knüpfen, also zu jungen Menschen, die sich genauso für die deutsche Geschichte interessieren wie sie. So ist auch die Atmosphäre beim Mittagessen im Dokumentationszentrum geprägt von lautstarkem Stimmmengewirr. Bei Käsespätzle und Hühnchen tauschen sich der Franzose Hermann und die US-Amerikanerin Prettany über ihre Eindrücke vom Arbeitslager aus. Die beiden sind sich einig: "Rassismus darf heute keinen Platz mehr haben", sagen sie.