«Schmerzliche Hinterlassenschaft»

epd-bild / Collection of the Yad Vashem Art Museum, Jerusalem
Das Bild "Der Flüchtling" von Felix Nussbaum ist im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen.
«Schmerzliche Hinterlassenschaft»

In Berlin sind erstmals in Deutschland 100 Kunstwerke aus der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem zu sehen. Die Ausstellung «Kunst aus dem Holocaust» zeigt Bilder von Insassen der Konzentrationslager und Ghettos, die heimlich entstanden.
25.01.2016
epd
Nadine Emmerich (epd)

Berlin (epd)Der Tod ist in den Arbeiten aller Künstler gegenwärtig: Es sind Zeichnungen der Evakuierung jüdischer Häuser und der Transporte ins Konzentrationslager, Bilder von Misshandlungen, Folter und der Hinrichtung am Galgen. Grau und Schwarz dominieren, Tristesse und Verzweiflung sind spürbar. Der Kurator der Ausstellung "Kunst aus dem Holocaust", die am Montagabend von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin eröffnet werden sollte, Walter Smerling, nennt die 100 Werke aus der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem, die erstmals in Deutschland gezeigt werden, "eine schmerzliche Hinterlassenschaft".

Flucht in Kunst und Fantasie

Die überwiegend grafischen Blätter aus den Jahren 1939-45, die bis zum 3. April im Deutschen Historischen Museum zu sehen sind, stammen von Häftlingen aus Konzentrationslagern, Arbeitslagern und Ghettos. Sie entstanden heimlich und unter Lebensgefahr und wurden von den Künstlern versteckt. Hinter den Werken "verbergen sich Schicksale", sagte der Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum, Alexander Koch, am Montag. Die meist mit Tusche, Kohle oder Wasserfarben entstandenen Arbeiten auf Papier dokumentieren die Grausamkeiten, die die Insassen zu ertragen hatten, und zeigen zugleich ihre Flucht in Kunst und Fantasie. Die Ausstellung stelle dar, "wie Menschen versuchen, als Menschen zu überleben", betonte der Vorsitzende von Yad Vashem, Avner Shalev.

"Kunst aus dem Holocaust" ist in drei Themen gegliedert: Wirklichkeit, Porträts sowie Traum und Hoffnung. Die düsteren Bilder schildern die alltäglichen Gräuel im Lager, seine Pritsche an Pritsche liegenden einsamen Gefangenen, aber auch ihre idyllischen Vorstellungen von der früheren Welt und dem verlorenen Zuhause hinter dem Stacheldraht. "Boulevard der Leiden" nannte Leo Kock seine unheilvolle Darstellung der Hauptstraße des Lagers. Felix Cyrin zeichnete Porträts von 42 Kameraden. Nelly Toll, die einzige noch lebende Künstlerin, die damals noch ein Kind war, träumte sich zurück an das Klavier in ihrem Elternhaus. Auch Berglandschaften und ein Hafen an der Französischen Riviera sind zu sehen.

Pavel Fantl, der in Theresienstadt heimlich Karikaturen schuf, verspottete Adolf Hitler als betrunkenen Clown. Papier und Farben bekam er von tschechischen Polizisten, die das Lager bewachten. Einen Teil seiner Bilder übergab er einem Eisenbahner zur Aufbewahrung. Ein anderer Künstler versteckte seine Bilder in Dosen, die er auf dem Jüdischen Friedhof vergrub. Nur seine Witwe, die überlebte, kannte das Versteck. "Jedes Kunstwerk erzählt wenigstens drei Geschichten", sagte Kuratorin Eliad Moreh-Rosenberg - was stellt es dar, wer war sein Schöpfer, wie ist dieser an die Materialien gekommen, wie wurde sein Werk später gefunden.

"Der Flüchtling" zeigt Parallele zur Gegenwart

Die meisten Künstler ahnten, dass sie sterben würden, "sie zeichneten für die Nachwelt", sagte Moreh-Rosenberg. Sie "wollten eine Spur ihrer Existenz und ihres geistigen Kampfes hinterlassen". Ergänzt werden alle Kunstwerke durch die Biografien ihrer Schöpfer. Neben größtenteils unbekannten Namen sind berühmte Künstler wie der 1944 in Auschwitz-Birkenau verstorbene Felix Nussbaum oder der Grafiker und Dichter Ludwig Meidner vertreten. Von den 50 präsentierten Künstlern wurden 24 von den Nationalsozialisten ermordet.

Nussbaums Ölgemälde "Der Flüchtling" (1939) hängt direkt am Eingang der Ausstellung, die übrigens von "Bild"-Herausgeber Kai Diekmann nach Besuchen in Yad Vashem in Jerusalem initiiert wurde. Ein Flüchtling versteckt sein Gesicht hinter seinen Händen, vor ihm auf dem Tisch steht ein großer Globus - die Parallele zur Gegenwart ist offensichtlich.

Die Gegenwart ist es auch, die die Yad-Vashem-Verantwortlichen veranlasste, aus ihrer 10.000 Kunstwerke umfassenden Sammlung erstmals eine so große Zahl nach Deutschland zu schicken. Es sei "der richtige Zeitpunkt und der richtige Ort", sagte Shalev und fügte hinzu. "Dass die Menschlichkeit überlebt, das ist unsere Botschaft." Man müsse die Arbeiten schützen, aber auch zeigen, dafür seien sie unter Lebensgefahr geschaffen worden, betonte Moreh-Rosenberg. "Sie verschwinden zu lassen war der Plan der Nazis."