Heimliche Helden der Nazizeit

Priester Pawel Rytel-Andrianik vor der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.
Foto: epd-bild / Debbie Hill
Priester Pawel Rytel-Andrianik vor der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.
Heimliche Helden der Nazizeit
"Einen ewigen Namen" will er ihnen geben: Ein polnischer Pater hat die Namen von mehr als 1.000 Priestern und Nonnen recherchiert, die in der NS-Zeit für andere ihr Leben riskierten. Seine Motivation zieht er auch aus der eigenen Familiengeschichte.

Lücken zu füllen ist Pater Pawel Rytel-Andrianiks ein großes Anliegen. Vor allem eine Leerstelle, die von der Holocaustforschung fast 70 Jahre nicht ausgefüllt wurde: Die Dokumentation der Priester und Nonnen, die ihr eigenes Leben riskierten, um das von Anderen zu retten. "Auf jüdischer Seite sind die Informationen von den Überlebenden gesammelt worden", sagt der 38-jährige Professor für Heilige Schriften an der Päpstlichen Universität vom Heiligen Kreuz in Rom. "Aber in den Kirchen ist sehr wenig unternommen worden, um die unbekannten Helden zu verewigen."

Den ganzen Sommer verbrachte der eigens für seine Forschungen freigestellte Priester in den Archiven der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, um in Polen gesammelte Daten abzugleichen. "Wir haben eintausend Namen von polnischen Priestern, die Juden gerettet haben", sagt der Pater. Er träumt davon, seine Initiative auf andere Länder auszuweiten, die im Zweiten Weltkrieg von deutsche Truppen besetzt waren.

Wäre sein Großvater ermordet worden, gäbe es ihn heute nicht

Kaum fünf Kilometer vom Vernichtungslager Treblinka entfernt wuchs der junge Pawel in einem katholischen Elternhaus auf. Schon als Kind wusste er, dass er eines Tages Priester werden würde.

Der katholische Priester Vater Pawel Rytel-Andrianik (37) am 1. Juli 2014 vor dem Viehwaggon-Mahnmal im Museum der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Israel.

Auch seine eigene Familie hatte unter dem NS-Schrecken gelitten. Pawels Großvater Stanislaw wurde in den 1940er Jahren verhaftet und ins KZ geschickt, weil er sich weigerte mit den Nazis zu kooperieren. Die meisten Inhaftierten überlebten kaum die erste Woche. Stanislaw Rytel wurde durch seine Bekanntschaft mit einem Baracken-Aufseher gerettet. "Dieser Mann ging zu den KZ-Kommandanten und sagte, dass mein Opa sein Bruder ist und gut arbeiten kann." Nach acht Monaten konnte er fliehen, als eines Tages ukrainische Wachleute das Tor öffneten. "Ich kann mir das nicht anders erklären, als dass sie betrunken waren", vermutet Pater Pawel.

Die schrecklichen Eindrücke in Treblinka hätten seinen Großvater niemals losgelassen. Die Vorstellung, dass es anders hätte ausgehen können, prägte den jungen Pawel von frühester Kindheit an. "Meine Mutter hat immer gesagt: 'Wenn er nicht gerettet worden wäre, dann gäbe es uns heute auch nicht'."

Zu Beginn seiner Ausbildung im Priesterseminar erzählte einer der Archivleiter von Menschen, die für die Rettung von Juden getötet wurden. Der junge Theologe wurde hellhörig. Er wollte mehr wissen, fand aber so gut wie keine Literatur. Die Leute selbst redeten oft nicht über ihre Heldentaten, die sie "als etwas empfinden, das andere auch getan hätten." 

20.000 Bäume säumen in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem die "Allee der Gerechten unter den Völkern". Jeder Einzelne erinnert an einen Menschen, der während des Zweiten Weltkrieges Juden vor der Verfolgung gerettet hat. 500 davon stehen für Priester und Nonnen. Viele Holocaust-Überlebende haben den Krieg in katholischen Waisenhäusern, in Kirchen oder Klöstern überlebt.

Die Zeit ist das größte Hindernis

"Polen war das einzige Land, in dem Leute, die Juden halfen, auf der Stelle erschossen wurden", sagt der katholische Geistliche. Trotz der großen Gefahr habe es in dieser schweren Zeit Helden gegeben. Ein Priester, dessen Kirche kaum 15 Kilometer entfernt von Treblinka entfernt am Waldrand lag, nahm zum Beispiel regelmäßig Juden auf, denen die Flucht aus dem Lager gelungen war. "Er hat ihnen Kleidung gegeben, sie versteckt", erzählt Pater Pawel.

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Dem engagierten Holocaustforscher geht es jetzt vor allem um die Dokumentation und die Aussagen noch lebender Zeitzeugen, die er über die Medien sucht. Später sollen die Daten für die öffentliche Nutzung aufbereitet werden. Drei Mitarbeiter nehmen Telefongespräche entgegen. "Allein in einem Jahr sind bei uns 15.000 Anrufe eingegangen, 15.000 Zeugnisse über das jüdische und das polnische Leben vor und während des Krieges."

Die Zeit sei der schlimmste Feind, weiß Pater Pawel. Deshalb arbeitet er unermüdlich und hofft darauf, in anderen Ländern junge Theologen und Historiker für die Dokumentation zu gewinnen. "Es wäre ein tolles Thema für eine Doktorarbeit", sagt er und verspricht, Interessierten, Freiwilligen und Universitäten Material zur Verfügung zu stellen. In Ländern, in denen Hilfe für Juden nicht mit dem Tod bestraft wurde, vermutet der Priester vielleicht noch mehr Retter. Pater Pawel drängt darauf, die Namen der Helfer für kommende Generationen festzuhalten. Schon beim Propheten Jesaja (56,5) heißt es: "Einen ewigen Namen will ich ihnen geben, der nicht vergehen soll."