Die Zigarettenpause während des Raketenangriffs

Stacheldraht
Foto: Flügelwesen/photocase.com
Die Zigarettenpause während des Raketenangriffs
Was ein deutscher Journalist im israelischen Abschiebe-Gefängnis erlebte
Eigentlich wollte Fabian Köhler über den Krieg in Gaza berichten. Stattdessen landete er in der Zelle eines Abschiebeknastes und traf Menschen, die wohl nur der Zufall zusammenbringen kann - oder die israelische Grenzpolizei.

Irgendwann gegen 13 Uhr fangen die Sirenen wieder an zu heulen. Seit Stunden haben wir auf den Moment gewartet, dass der Raketenalarm über Tel Aviv und der dumpfe Knall der Abfangrakete den Höhepunkt des Tages bringt. Denn dann öffnet sich die Zellentür und nach ein paar Minuten im Schutzkeller führt der Weg für wenige Minuten auf den Hof. Und das bedeutet neben etwas Abwechslung vor allem eines: Rauchen.

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Meine Name ist Fabian Köhler, 31, ich bin deutscher Journalist, und den Großteil dieser Zeilen schreibe ich auf einer Filzdecke des Abschiebegefängnisses von Tel Avivs Flughafen Ben Gurion. Rund 30 Stunden ist es her, dass mich ein israelischer Grenzbeamter aufforderte, auf der anderen Seite des Röhrenmonitors Platz zu nehmen. Was ich in Israel mache, warum ich über den Krieg berichten will, ob ich Islamisten in Deutschland unterstütze? Die Fragen waren mal erwartbar, mal absurd, aber vor allem immer eines: laut. Zeit für Antworten gab er meist nicht. Knapp eineinhalb Stunden dauerte das Verhör, an dessen Ende ein "Einreise verwehrt"-Stempel in meinem Pass prangte. "Sicherheitsgründe" habe dies, sagte man mir bei Verhör zwei und drei. Sonst nichts.

Dennoch soll dieser Text weder von israelischer Pressezensur noch vom Leid eines Journalisten handeln - schließlich saß ich drei Tage später wohlbehalten im Flugzeug zurück nach Deutschland. Stattdessen soll es eine Geschichte sein über Menschen, die wohl nie aufeinander getroffen wären, hätten sie der Zufall und die israelischen Grenzbehörden nicht gemeinsam in eine 20 Quadratmeter großen Zelle gesteckt.

Fremde müssen im Zeitraffer Freunde werden

Zwischen zwei Doppelstockbetten baumelt dort - nur mit einem Schlüpfer bekleidet - der bulgarische Bodybuilder Milo. Gemeinsam mit seinem Vater kam er als Gastarbeiter nach Israel. "Unsere Visa waren in Ordnung", sagt er, während seine Bauchmuskeln zittern. Hinter Gittern landeten sie trotzdem. Bis auf Thomas, den Goldhändler, findet sich hier niemand, der irgendeine Straftat begangen hat. Die Absurdität, Menschen wegen "Visaproblemen" 23 Stunden am Tag in eine Zelle und eine Stunde auf einem umzäunten Betonplatz einzusperren, ist auch in Israel am größten, wenn man sie selbst erlebt.

Ein weißrussischer Reiseleiter ist hier - der Rest seiner 30-köpfigen Touristen-Gruppe durfte problemlos einreisen. Ein ghanaischer Gebrauchtwagenhändler, der in Israel Urlaub machen wollte. Ein verängstigter junger Pole, der so deprimiert auf seinem Bett sitzt, als würde er sich gleich den Strick nehmen. Zwei junge Äthiopier, die sich am liebsten mit einem ebenfalls äthiopisch stämmigen Mann unterhalten, bis dieser sie wieder in ihre Zelle steckt.

Ein paar verunsicherte Menschen, die zwischen Weißbrot-Frühstück und Raketenlärm im Zeitraffer zu Freunden werden müssen, obwohl sie kaum mehr verbindet als der gemeinsame Wunsch nach einem Feuerzeug. Die fehlende Möglichkeit, den Stress der unerwarteten Verhaftung wegzurauchen, ist für die meisten das größte Problem - neben der Langeweile. Der Rauch würde sich sicherlich verziehen, bevor der Wärter kommt, am Fenster über dem Ideal-Standard-Waschbecken.

Rund 400 Menschen starben während meiner kurzen Haft

Es soll das größte Problem bleiben. Die Wärter sind freundlich, die Putzfrau kommt regelmäßig, die Haftzeit ist zu kurz und der abendliche Riegel zu schokoladig, um in diesem Durchgangsknast einen Einblick ins israelische Gefängnissystem zu gewinnen. Die Geschichte von Flüchtlingen wie Moussa taugt hingegen schon für einen tieferen Blick: Eine Tragödie. Mit 19 verließ er seine Heimat, die Elfenbeinküste, um irgendwo auf der Welt für seine Mutter und seinen Bruder sorgen zu können. Zwei Jahre braucht er, bis er von Schleppern fast ermordet, von libyschen Polizisten verprügelt und von ägyptischen Soldaten angeschossen, im israelischen Stacheldraht hängend sein Ziel erreicht hatte.

Vier Jahre arbeitete er in Tel Aviv, bis sich auch Israel an der europäischen Asylpraxis ein Beispiel nahm und Moussa mit Tausenden anderen für ein Jahr in das Wüsten-Internierungslager Holot steckte. "Wenn du dort warst, willst du nur zurück nach Hause abgeschoben werden - egal wo das ist", sagt er. Ein kleines Geschäft wolle er in der Elfenbeinküste aufmachen. "Aber erst einmal bringe ich dir weiter Hebräisch bei."

Anderthalb Doppelstockbettlängen entfernt hämmern unterdessen der bulgarische Vater und sein Sohn abwechseln gegen die stählerne Gefängnistür und fordern erst den nächsten Zigarettenhofgang und später einen gemeinsamen Fitnesswettbewerb. Zu ihrem Unglück entpuppt sich der weißrussische Reiseleiter als ehemaliger Kungfu-Lehrer: einarmige Liegestütze, Handstand-Wettrennen, Spagat zwischen zwei Doppelstockbetten. Bis dann doch der nächste Raketenalarm die bulgarische (und meine) Niederlage abwendet.

60 Kilometer ist Gaza entfernt. Rund 400 Menschen starben dort während meiner Zeit auf der Filzdecke. Doch im Abschiebegefängnis des Flughafen Ben Gurion könnte der Krieg nicht ferner sein. Vielleicht sehen wir uns mal wieder, sagt einer der Wärter an der Tür des Gefangenentransporters. "Ich hoffe nicht", antworte ich grinsend. Zum Abschied gibt er mir einen Schokoriegel, und ich frage nach seinem Feuerzeug.