Fehlerlos genug? Journalisten profitieren von Selbstkritik

Fehlerlos genug? Journalisten profitieren von Selbstkritik
"Fehlerlos genug? Mit sich und anderen gnädig sein" fällt besonders Journalisten schwer. Die Affären von Ex-Bundespräsident Wulff, die abgeschriebene Doktorarbeit von Ex-Minister Guttenberg: Journalisten graben die Fehler der Mächtigen aus und legen in ihren kritischen Beiträgen die Finger in die Wunde. Wer kritisiert, gilt als guter Journalist. Eigene Fehler passen da nicht ins Bild – und werden viel zu häufig ignoriert statt korrigiert, sagt Journalismus-Forscher Colin Porlezza. Dabei profitieren vom Mut zur Selbstkritik auch die Journalisten selbst.
28.03.2012
Die Fragen stellte Miriam Bunjes

Journalisten gehen in der Regel sehr ungnädig mit den Fehlern derjenigen um, über die sie berichten. Wie ist das mit ihren eigenen?

Colin Porlezza: Sie werden oft gar nicht beachtet. Journalisten beobachten alles und jeden – außer sich selbst. Im deutschsprachigen Raum gibt es zudem nur eine schwach ausgeprägte Kritik-Kultur unter Journalisten. Wir haben vor einigen Monaten für ein EU-weites Forschungsprojekt über Medienselbstkontrolle deutsche, österreichische und schweizerische Journalisten befragt, ob sie Kollegen kritisieren oder von ihnen kritisiert werden. Die meisten kritisieren nur selten und werden auch kaum kritisiert. Und wenn beim Gegenlesen eines Beitrags etwas auffällt, wird der Fehler oft schnell übergangen.

Es gibt aber natürlich Fehler!?

Porlezza: Sogar viele. Eine Studie von mir und meinen Kollegen von der Universitäten Lugano und Oregon zeigt, dass in mehr als fünfzig Prozent der Artikel in schweizerischen Tageszeitungen mindestens ein sachlicher Fehler ist, während US-amerikanische Printmedien in nur 36 Prozent aller Beiträge Fehler vorkommen. Wir haben dafür die Informations-Quellen der Journalisten befragt: Experten, Politiker, gesellschaftliche Gruppen. Meistens werden Zitate falsch wiedergegeben, Überschriften sind ungenau oder die Artikel enthalten falsche Zahlen. Da die Redaktionsstruktur und –kultur im deutschsprachigen Raum ähnlich ist, denke ich, dass auch in deutschen Medien in ähnlichen Umfang Fehler gemacht werden.

"Journalisten sollten sich

etwas von Bloggern und

Internet-Schreibern abschauen"

 

Sind die Fehler alle vermeidbar?

Porlezza: Nein, alle Menschen machen Fehler. Viele journalistische Fehler lassen sich aber durch ein anderes Fehler-Management durchaus vermeiden. Das kritische Gegenlesen sollte in Redaktionen noch stärker etabliert werden. Durch die ökonomische Krise der Verlage sind Lektoren-Stellen zum größten Teil abgeschafft worden und die Kollegen tun das untereinander – oder gar nicht. In Redaktionskonferenzen kann auch viel mehr über Qualität gesprochen und an ihr gearbeitet werden, statt sie vor allem für die Planung neuer Themen zu nutzen. Wo tauchen häufig Fehler auf? Wer kann wann etwas überprüfen? Ein großer Fehler ist aber auch, wie Journalisten damit umgehen, wenn Fehler passiert und veröffentlicht wurden.

Wie gehen sie denn damit um?

Porlezza: Auf jeden Fall nicht transparent. Es gibt nur wenige Korrekturspalten in deutschen Zeitungen und auch im Rundfunk gibt es keine Korrekturformate. Ein bekanntes Beispiel ist der "Hohlspiegel" des "Spiegels", der auch viel gelesen wird. In Anbetracht der Masse von Fehlern müsste es aber viel mehr solcher Korrekturräume geben. Die sieht man aber nicht – entweder, weil die Kritik ignoriert wird oder weil es stillschweigend korrigiert wird, was im Online-Bereich ja möglich ist. Es ist natürlich für Printmedien schwierig, alle Fehler öffentlich richtig zu stellen, weil der Platz begrenzt ist. Allerdings haben die meisten ja auch einen Online-Auftritt. Und bei dem sollten sich Journalisten etwas von den Bloggern und Internet-Schreibern abschauen: Die korrigieren nämlich in der Regel sichtbar: Falsche Worte und Passagen der Ursprungsfassung bleiben durchgestrichen im Text, es wird vermerkt, wann der Artikel ausgebessert wurde und oft auch warum.

Für Journalisten ist das offenbar schwer. Warum?

Porlezza: Sie sorgen sich wohl, dann am Pranger zu stehen. Vor den Kollegen, die dann alle wissen, dass dieser Autor einen Fehler gemacht hat. Und vor dem Publikum, vor dem sie dann auch schlecht dastehen. Wegen der fehlenden Kritik-Kultur unter Journalisten verunsichern eigene Fehler eben umso stärker.

Wie gnädig ist denn das Publikum: Verzeiht es Fehler?

Porlezza: Es nützt der Glaubwürdigkeit von Journalisten, wenn sie Fehler zugeben und korrigieren. Das sagen die von den Fehlern betroffenen Quellen und das haben jetzt auch die befragten Journalisten mehrheitlich gesagt. Werden die Fehler nicht korrigiert, schadet es den Journalisten hingegen enorm. Die Informationsquelle wird sich gut überlegen, ob sie dem betreffenden Journalisten und vielleicht auch dem gesamten Medium noch einmal Informationen gibt. Das kann sich in einer ganzen Branche herumsprechen – und wichtige Themen gar nicht erst ans Licht kommen lassen. Journalisten müssen auf Kritik eingehen und sie als Dialog sehen – den gibt es im Internet-Zeitalter eben zunehmend und das ist immer noch nicht in den Redaktionen angekommen.

"Es sind oft

Strukturen in Redaktionen,

die Fehler begünstigen"

 

Von wem kommt die meiste Kritik?

Porlezza: Die meiste Kritik kommt von außen, von den Lesern, Hörern oder Zuschauern. Es ist inzwischen eben sehr leicht, über die Kommentarfunktion oder Social Media zu kritisieren und auf Fehler hinzuweisen. Diese Kritik wird oft einfach abgetan und in den Redaktionen nicht weiter behandelt – was schade ist, weil das Potenzial, ins Gespräch zu kommen und falsche Fakten wirklich besser darzustellen, nicht genutzt wird. Es kommt auch Kritik von Organen der Medienselbstkontrolle wie dem Presserat, die wird etwas ernster genommen, aber auch nicht sehr. Auch der Medienjournalismus hat in Deutschland keine starke Kritik- und Korrekturfunktion.

Eine gute ergänzende Kontrollfunktion übernehmen Medienblogs wie das Bild-Blog, das gezielt journalistische Fehlleistungen sucht, findet – und auch viel gelesen wird. Am wichtigsten nehmen Journalisten ihren Berufskodex, zeigen unsere Forschungsergebnisse. Die Norm, wahrheitsgemäß zu berichten, ist ihnen wichtig – absichtlich machen sie in den meisten Fällen sicherlich keine Fehler. Es gibt aber auch dabei Ausnahmen. So hat der US-Autor Mike Daisey vor kurzem in einem Bericht über Apple-Zulieferer zahlreiche Fakten verbogen. Und in Deutschland erinnert man sich noch gut an die gefälschten Interviews von Tom Kummer im SZ-Magazin.

Wie lernt man dann als Journalist einen anderen Umgang mit diesen Fehlern, die man am liebsten gar nicht machen will – und die, macht man sie, gleich öffentlich sind?

Porlezza: Schon in der Ausbildung sollten Journalisten nicht nur lernen, wie sie richtige Texte schreiben, sondern auch, was sie tun können, um Fehler zu erkennen und zu vermeiden. Es sind oft Strukturen in Redaktionen, die Fehler begünstigen – sie zu bemerken, kann man lernen und jungen Journalisten vermitteln. Und jeder kann sich klar machen, dass Fehler nun mal passieren – jedem – und man sie korrigieren kann. Journalisten sind ihren Lesern gegenüber zur Wahrheit aber eben auch zur Sorgfalt verpflichtet, da diese davon ausgehen, von ihnen richtig und korrekt informiert zu werden. Zu dieser Pflicht gehört auch, Fehler zu korrigieren.


Colin Porlezza (33) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Medien und Journalismus der Universität Lugano. Er forscht derzeit zusammen mit Journalismus-Wissenschaftlern aus 14 EU-Ländern im EU-Project MediaAcT darüber, wie europäische Journalisten Qualität und Werte ihrer Arbeit selbst kontrollieren.

Miriam Bunjes ist freie Journalistin in Dortmund.