Pflegereform geht Kritikern nicht weit genug

Pflegereform geht Kritikern nicht weit genug
Am Mittwochvormittag hat das Bundeskabinett die Pflegereform beschlossen. Doch Patientenvertreter, Krankenkassen und selbst Politiker der CSU fordern bereits Änderungen an den Plänen von Gesundheitsminister Bahr.

Die von der Bundesregierung geplante Pflegereform stößt auf Kritik. Eugen Brysch, Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung, sagte, er bezweifle, dass der Kabinettsbeschluss von Mittwochvormittag der Startschuss für eine Neuorientierung in der Pflege sei. Der Chef der Senioren-Union, Otto Wulff (CDU), forderte höherer Leistungen insbesondere für Demenzkranke. Auch Krankenkassen und Gesundheitspolitiker der CSU sprachen sich für Nachbesserungen aus: Die Steueranreize zum Aufbau einer privaten Vorsorge sollten erhöht werden.

Stiftungsvorstand Brysch sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Mittwochsausgabe), es sei zwar zu begrüßen, dass an Demenz erkrankte sowie geistig behinderte Menschen mehr Leistungen erhalten sollen. Die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs werde aber erneut verschoben. Ebenso fehlten Schritte zur Qualitätssicherung sowie Maßnahmen, die Pflegeberufe attraktiver machen und die Generationengerechtigkeit sichern, sagte er.

Offensichtlich wisse niemand, wohin die Reise im Pflegesystem gehen soll: "Die Titanic nimmt Fahrt auf und der Steuermann, Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr, steuert mit voller Fahrt auf den Eisberg zu. Bevor alles untergeht, verlässt er mit dem Ende der Legislaturperiode das Schiff." Ausbaden müssten diese politische Verantwortungslosigkeit nicht nur die pflegebedürftigen Menschen, sondern auch Angehörige, Pflegekräfte sowie die junge und mittlere Generation.

Zeitvolumen statt einzelner Leistungen

Die Pflegereform sieht eine Beitragserhöhung ab 2013 um 0,1 Prozentpunkte auf dann 2,05 Prozent (2,3 Prozent für Kinderlose) vor. Die Mehreinnahmen von rund 1,1 Milliarden Euro sollen vor allem den Demenzkranken zugutekommen, die zu Hause versorgt werden. Zudem sieht der Gesetzentwurf die Förderung von Pflege-WGs und den Abbau von Bürokratie vor. Künftig sollen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen statt einzelner Leistungen wie der Körperpflege ein Zeitvolumen wählen können und selber bestimmen, welche Leistungen in dieser Zeit erbracht werden sollen.

Der Vorsitzende der Senioren-Union, Wulff, sagte der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Mittwochsausgabe): "Jede Hilfe für Demenzkranke ist richtig und vernünftig. Auf Dauer müssen wir da aber mehr machen, als die jetzige Pflegereform leistet", sagte der CDU-Politiker. Außerdem müssten noch mehr Möglichkeiten für pflegende Angehörige geschaffen werden, eine Auszeit zu nehmen.

Gernot Kiefer, Vorstand des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen, sagte der "Passauer Neuen Presse" (Mittwochsausgabe), die von der Regierung geplanten Steueranreize zum Aufbau einer privaten Pflegevorsorge reichten nicht aus. Mit nur 100 oder 200 Millionen Euro im Jahr seien "wirkungsvolle Anreize wohl kaum möglich".

Auch Johannes Singhammer (CSU), stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag, forderte eine "attraktive steuerliche Regelung für die private Vorsorge und Zulagen für Geringverdiener". Die bisher im Bundeshaushalt 2013 vorgesehene Summe von 100 Millionen Euro sei zu gering. CSU-Gesundheitsexperte Max Straubinger verlangte für die Folgejahre ebenfalls eine Erhöhung. Über die geplante Pflege-Zusatzversicherung wird im Kabinett zunächst nicht gesprochen. Die Förderung soll in einem eigenen Gesetz geregelt werden.

Bethel-Chef: "Größenordnung des Problems nicht erfasst"

Die von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel halten die Pflegereform ebenfalls für nicht ausreichend. "Das ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber immer noch ein Tropfen auf den heißen Stein", sagte Bethel-Chef Ulrich Pohl dem Evangelischen Pressedienst in Bielefeld. Entscheidende Themen wie der Pflegebegriff und die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte seien nicht angepackt worden, monierte der Vorstandsvorsitzende des größten diakonischen Unternehmens Europas.

Pohl warnte davor, ambulante Angebote gegen stationäre Heimplätze auszuspielen. Gerade bei Fällen von Demenz stießen Familien an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. "Dann brauchen sie professionelle und auch stationäre Angebote", unterstrich der Bethel-Chef. Ambulante Angebote und neue Formen von Wohngemeinschaften seien wichtig. "Aber die Größenordnung des Problems ist mit der Reform noch nicht erfasst", kritisierte der Theologe. Auch die Erhöhung der Pflegebeiträge um 0,1 Prozentpunkte reicht nach Einschätzung Pohls bei weitem nicht aus.

epd