DGB: Spätere Rente ist falsch und ungerecht

DGB: Spätere Rente ist falsch und ungerecht
Die Europäische Kommission schlägt vor, das Rentenalter in den EU-Ländern deutlich anzuheben. An diesem Donnerstag will sie in Brüssel ihr Weißbuch Rente vorstellen. In der "Agenda für angemessene, sichere und tragfähige Renten" heißt es, die Europäer verbrächten heute ein Drittel ihrer Lebenszeit im Ruhestand. Das werde die europäischen Rentensysteme auf Dauer überfordern. Nur wenn alle Arbeitnehmer länger arbeiteten, könnten die Renten weiterhin bezahlt werden, so die Kommission. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ist damit nicht einverstanden. Drei Fragen an DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach.
16.02.2012
Die Fragen stellte Bettina Markmeyer

Frau Buntenbach, jedes Jahr steigt die Zahl der über 60-Jährigen in der Europäischen Union um zwei Millionen Menschen. Was spricht eigentlich dagegen, dass die Europäer länger arbeiten, damit sie ihre Renten finanzieren können?

Annelie Buntenbach: Dazu müssten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erst einmal überhaupt die Chance bekommen, länger arbeiten zu können. Knapp die Hälfte der Unternehmen in Deutschland beschäftigen niemand über 50 Jahre, nur zehn Prozent der 63- und 64-Jährigen hat einen regulären Vollzeitjob. Es ist deshalb falsch und ungerecht, das Renteneintrittsalter zu erhöhen - das heißt nichts anderes als hohe Abschläge und Rentenkürzung. Das fördert Altersarmut.

Die Kommission schlägt offenbar vor, es nicht bei einmaligen Rentenreformen wie in Deutschland zu belassen, sondern das Renteneintrittsalter regelmäßig an die steigende Lebenserwartung anzupassen. Was halten Sie davon?

Buntenbach: Entscheidend ist nicht die Lebenserwartung, denn der statistische Durchschnitt verstellt den Blick auf die zutiefst unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten. Entscheidend sind die Beschäftigungsmöglichkeiten für Ältere, alters- und alternsgerechtere Arbeitsplätze, betriebliche Gesundheitsprävention und Weiterbildung. Wenn das Renteneintrittsalter erhöht wird, die Menschen aber keine Chance haben, so lange zu arbeiten, wird es zu noch mehr Altersarmut führen, als wir ohnehin befürchten müssen, weil die Renten schon so massiv gekürzt worden sind.

"Frühe Auswege" aus dem Arbeitsleben und Frühverrentungen will die Kommission beschränken. Die Gewerkschaften verlangen für Deutschland angesichts der Rente mit 67 vehement solche "frühen Auswege" für bestimmte Berufsgruppen. Warum?

Buntenbach: Früher in Rente zu gehen, ist kein Luxus, sondern viele sind dazu gezwungen. Jeder fünfte Neurentner bezieht heute eine Erwerbsminderungsrente, wird also aus gesundheitlichen Gründen vom Arbeitmarkt verdrängt. Außerdem ist die Arbeitslosigkeit bei Älteren überdurchschnittlich hoch. Wir brauchen deshalb auch flexible Übergänge in den Ruhestand, damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Ende ihres Erwerbslebens nicht abstürzen.

epd

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes, ist verheiratet und lebt in Bielefeld.