Afrika: Ein schlechtes Jahr für den Frieden

Afrika: Ein schlechtes Jahr für den Frieden
Während Millionen Menschen hungern, entwickelt sich Ostafrika zum Pulverfass. In Somalia und im Sudan stehen die Zeichen auf Krieg. Und im nächsten Jahr könnte der ganze afrikanische Kontinent von der Finanzkrise erfasst werden.
20.12.2011
Von Marc Engelhardt

Im Sommer kamen Bilder aus Afrika, die man nie wieder sehen wollte: Bis aufs Skelett abgemagerte Kinder, stumme Frauen mit sterbenden Babys im Arm, Leichen am Straßenrand: Die schwerste Dürre seit Jahrzehnten lenkte einmal wieder die Aufmerksamkeit nach Somalia, das Land, das seit mehr als 20 Jahren keine staatlichen Strukturen mehr hat. Mehr als zwei Millionen Hungernde konnten nicht versorgt werden, weil islamistische Milizen westlichen Helfern den Zugang verweigerten. Doch als irgendwann niemand mehr hinsah, wurde die Lage noch schlimmer: Aus der Hungerkrise wurde ein Krieg.

Seit dem 15. Oktober sind kenianische Truppen in Somalia einmarschiert, um die islamistische Al-Schabaab-Miliz zu besiegen. "Linda Nchi", (Schützt die Nation), nennt Kenias Präsident Mwai Kibaki den ersten Kriegseinsatz der kenianischen Armee seit 44 Jahren. Doch zum Jahresende zeichnet sich immer mehr ab, dass Kritiker der Operation Recht behalten. Kenias Soldaten gelten nicht nur ohnehin als völlig unerfahren und schlecht ausgerüstet - die Invasion, mitten in der schlimmsten humanitären Krise seit Jahrzehnten, hat katastrophale Folgen.

Im Süden Somalias, wo die kenianischen Truppen kämpfen, gab es bereits zahlreiche zivile Opfer. Ein Kriegsflugzeug bombardierte versehentlich ein Versorgungszentrum des Roten Halbmonds. Obwohl Hilfswerke sich seit dem ersten Tag gegen den Krieg aussprachen, geraten sie zwischen die Fronten. Sie gelten den Islamisten als vermeintliche Alliierte des Westens, der Kenia unterstützt, im Fall der USA und Frankreichs auch militärisch. Sogar Äthiopien macht sich bereit, erneut in Somalia einzumarschieren. Die für Hilfe zuständige EU-Kommissarin Kristalina Georgieva warnt bereits, die Hungerkrise in Somalia könne bis Mitte nächsten Jahres anhalten.

Im Südsudan drohen gleich mehrere Kriege

Somalia ist nicht der einzige afrikanische Kriegsschauplatz, der sich 2011 international weitgehend unbeachtet auftat. Im Südsudan, dessen Unabhängigkeit Anfang Juli noch ausgelassen gefeiert wurde, drohen gleich mehrere Kriege: Der Konflikt zwischen der regierenden "Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung" und bewaffneten Rebellen hat 2010 bereits Hunderte Menschenleben gefordert. "Menschen müssen sterben, damit wir Frieden und Demokratie haben", poltert der Rebellenchef George Athor aus der vernachlässigten Jonglei-Region. "Man kann kein Omelett machen, ohne ein paar Eier zu zerbrechen."

Auch ein Krieg zwischen dem Südsudan und dem einstigen Mutterland Sudan scheint immer wahrscheinlicher. Anfang November begannen sudanesische Kampfflugzeuge, Bomben abzuwerfen. Sie zielten unter anderem auf Flüchtlingslager im Südsudan. Anfang Dezember marschierten sudanesische Soldaten in die südsudanesische Stadt Jau ein. Der Konflikt nahm eine neue Dimension an. "Wir stehen unmittelbar vor einem Krieg", erklärt Südsudans Außenminister Nhial Deng Nhial.

Ein Krieg mit dem Süden könnte genau das sein, was der Präsident des Sudans, der gesuchte Kriegsverbrecher Omar al-Baschir, möchte. Seit der Sezession des Südens regt sich im Norden immer mehr Widerstand gegen Al-Baschirs Regime. Von Darfur im Westen über Kordofan im Süden bis in den fernen Osten des Sudans sammeln sich Rebellen. Ein gemeinsamer Feind im Südsudan, so könnte Al-Baschir hoffen, könnte die Bevölkerung einen. Eine Invasion im Südsudan würde dem bankrotten Regime zudem die Ölquellen sichern, die im Grenzgebiet liegen.

Europa und die USA sind mit ihren Wirtschaftskrisen und sich selbst beschäftigt

Ein Bürgerkrieg droht auch im Kongo, wo Präsident Joseph Kabila erst das Wahlgesetz änderte und sich dann trotz massiver Fälschungsvorwürfe zum Sieger der Wahl vom 28. November ernennen ließ. Oppositionsveteran Etienne Tshisekedi, hatte schon zuvor angekündigt, im Fall einer Niederlage gewaltsam gegen Kabila vorzugehen. Dann mahnte er, bei Protesten friedlich zu bleiben. Doch ob das Bestand hat, ist höchst ungewiss. Und in Nigeria hat sich die islamistische Sekte Boko Haram von einer lokalen Miliz zu einer der größten Terrorgefahren Westafrikas entwickelt. Spätestens seit dem tödlichen Angriff auf ein UN-Gebäude in Abuja Ende August scheint festzustehen, dass die Gruppe tatsächlich Verbindungen zum Al-Kaida-Netzwerk besitzt.

Dass Europa und die USA mit ihren Wirtschaftskrisen und sich selbst beschäftigt sind, macht die Lage in Afrika umso explosiver. Im kommenden Jahr wird nach allen Prognosen auch Afrikas bislang stetig wachsende Wirtschaft ins Stottern geraten. Hohe Inflationsraten sorgen schon jetzt in vielen Ländern für Unmut, der leicht in Gewalt umschlagen kann. Insgesamt sind in Afrika für 2012 Wahlen in 30 Ländern angesetzt, darunter Kenia und Simbabwe.

epd