"Christliche Botschaft ins Fitnessstudio bringen"

"Christliche Botschaft ins Fitnessstudio bringen"
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will sich nicht damit abfinden, dass sie schrumpft und viele ihrer Mitglieder kaum erreicht. Der Stuttgarter Leiter des Zentrums "Mission in der Region" im Gespräch.
29.08.2011
Das Gespräch führte Marcus Mockler

Herr Professor Hempelmann, laut der Sinus-Milieu-Studie erreicht die Kirche in Deutschland mit ihren Angeboten von zehn gesellschaftlichen Milieus lediglich zweieinhalb. Kümmert sie sich zu wenig um die anderen siebeneinhalb Milieus?

Heinzpeter Hempelmann: Das können wir nicht mit Gewissheit sagen, weil die Studie die katholische Kirche untersucht hat. Für die evangelische fehlen genaue Zahlen. Aber es gibt Indizien dafür, dass auch die evangelische Kirche einen Großteil ihrer personellen und finanziellen Ressourcen für eine Minderheit ihrer Kirchenmitglieder einsetzt.

Da Kirche für alle da sein will - was sollte sie denn tun, um auch wirklich alle zu erreichen?

Hempelmann: Bevor sie hier etwas tut, sollte sie sich intensiv mit der Frage beschäftigen: In welchen Lebenswelten sind die Menschen, die zur Kirche gehören, aber nicht sonntagmorgens in den Gottesdienst kommen? Wir müssen wahrnehmen, dass die Mehrheit der Kirchenmitglieder überhaupt nicht an den Regelveranstaltungen der Gemeinde teilnimmt. Der Hauptgottesdienst am Sonntag ist im Grunde eine Submilieu-Veranstaltung, auch wenn er für alle gedacht ist. Die Kirche müsste sich also intensiv mit anderen Lebenswelten befassen, um sich den Menschen darin zuwenden zu können.

Wird die Situation nicht manchmal schlechtgeredet? An Heiligabend sind die Kirchen nach wie vor brechend voll.

Hempelmann: Ja, aber selbst an Heiligabend erreichen wir im Durchschnitt nur rund 25 Prozent der Mitglieder. Das heißt, sogar an dieser kirchlichen Feier nimmt die große Mehrheit der Mitglieder nicht teil. Wir sind demnach mit unseren Angeboten nicht nahe genug an den Menschen. Und selbst höhere Teilnehmerzahlen an Heiligabend könnten uns als Kirche nicht genügen, da die christliche Botschaft von ihrem eigenen Anspruch her nicht nur an einem Tag im Jahr bei den Menschen präsent sein will.

Pfarrerinnen und Pfarrer entstammen fast alle dem Bildungsbürgertum. Sind sie von ihrer Mentalität her überhaupt geeignet, etwa Hartz-IV-Familien angemessen anzusprechen?

Hempelmann: Manche von ihnen bestimmt, die Mehrzahl vermutlich nicht. Aber die Pfarrerin oder der Pfarrer müssen es ja auch nicht alleine machen. Vielleicht können andere Menschen aus der Kirchengemeinde eine Art "Pfadfinder" in ganz unterschiedliche Milieus werden. Pfarrer hätten dann die Aufgabe, diese "Pfadfinder" zu begleiten und zu unterstützen, wenn diese Menschen die christliche Botschaft ins Fitnessstudio oder in Hartz-IV-Familien bringen.

Sollte man das Pfarramt auch für Menschen öffnen, die kein Abitur haben?

Hempelmann: Es hat schon seinen Sinn, dass für hauptamtliche Verkündiger des Evangeliums in unserer Kirche ein akademisches Studium vorgeschrieben ist. Wir brauchen hervorragend ausgebildete Theologen. Gleichzeitig könnten wir wieder mehr Menschen, die zum Beispiel in der Industrie oder einer Behörde arbeiten, über einen zweiten Bildungsweg ins Pfarramt bringen. Diese Möglichkeit sollte stärker genutzt werden, um andere Lebenserfahrungen besser für die kirchliche Arbeit zu nutzen.

Pfarrer kümmern sich im Religionsunterricht um die Kinder und machen nachmittags Altenbesuche. Wo aber werden die 20- bis 60-Jährigen angesprochen?

Hempelmann: Das ist tatsächlich ein Problem, dass wir zu wenig die Menschen in der Mitte ihres Lebens im Blick haben. In diesem Alter sind laut Untersuchungen übrigens insbesondere Männer am stärksten geneigt, aus der Kirche auszutreten. In diese Personengruppe sollten wir also besonders intensiv investieren - zum Beispiel durch Besuche zum 30. und 40. Geburtstag.

epd

Heinzpeter Hempelmann ist Theologischer Referent des Zentrums "Mission in der Region" in Stuttgart und Honorarprofessor an der Evangelischen Hochschule Tabor (Marburg). Das Zentrum gibt es seit 2006. Es hat Standorte in Dortmund, Greifswald und Stuttgart.