Urlaub mit gutem Gewissen

Urlaub mit gutem Gewissen
Der Tourismusexperte Heinz Fuchs fordert mehr nachhaltigen Tourismus. Umweltverträgliche und sozial verantwortliche Reisen sollten vermehrt auch von den großen Reiseveranstaltern angeboten werden, sagte der Leiter der Arbeitsstelle "Tourism Watch" beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) in einem epd-Gespräch in Bonn. Urlauber wollten keine "sozial kontaminierten" Reisen buchen, darauf müsse der Markt stärker eingehen. Ein Umdenken wünscht sich Fuchs auch bei Verbrauchern und in der Politik.
16.07.2011
Von Ingo Lehnick

Was ist aus Verbrauchersicht eine gute Urlaubsreise?

Fuchs: Bei einer guten Urlaubsreise muss natürlich die Qualität stimmen, dazu gehört der Grundsatz "Gute Leistung für gutes Geld". Für die meisten Verbraucher ist ja der Preis das wichtigste Kriterium. Es sollte allerdings auch geprüft werden, ob das vermeintliche Schnäppchen seriös ist. Manche Angebote sind geradezu skandalös, man sieht dem Billigpreis auf Anhieb an, dass die Kosten damit eigentlich gar nicht gedeckt werden können. Bei einer All-inclusive-Flugreise unter 400 Euro sollte jeder merken, dass etwas nicht in Ordnung sein kann.

Welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit man von nachhaltigem Tourismus sprechen kann?

Fuchs: Entscheidend sind die Umweltverträglichkeit, die Einhaltung der Menschenrechte und die soziale Verantwortung, die uns als evangelischer Entwicklungsorganisation besonders am Herzen liegt. Dazu gehört etwa die Frage, ob die Menschen am Urlaubsort vom Tourismus etwas haben oder die Beschäftigten mit Niedrigstlöhnen abgespeist werden.

Woran erkenne ich denn, ob solche Kriterien erfüllt werden?

Fuchs: Leider gibt es bislang kaum Möglichkeiten, sich über Kataloge und Reisebüros oder im Internet Klarheit zu verschaffen. Für soziale Aspekte stehen aussagekräftige Qualitätssiegel noch ganz am Anfang. Man sollte daher beim Reiseveranstalter darauf dringen, dass die Beschäftigten am Urlaubsort sozialversichert und fair bezahlt sind und dass die Gewerkschaftsrechte eingehalten werden. Auch die Weitergabe von negativen Beobachtungen vor Ort ist wichtig. Solche Rückmeldungen können eine gewisse Dynamik bei den Reiseunternehmen auslösen.

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Wie groß ist das Interesse an Reisen mit hohen Umwelt- und Sozialstandards?

Fuchs: Reisen ist ein Teil unseres gesamten Konsumverhaltens. So wie eine wachsende Zahl von Menschen fair gehandelte Waren einkauft, steigt auch die Zahl derjenigen, die keine sozial kontaminierten Reisen buchen wollen. Spezielle Reiseagenturen, die nachhaltigen Tourismus anbieten, bewegen sich aber immer noch in einer Nische mit einem Marktanteil von unter einem Prozent. Ihre Qualitätsstandards beeinflussen zwar zunehmend auch den breiten Markt. Bei den großen Touristik-Konzernen mangelt es jedoch bisher weitgehend an Transparenz, wenn es um die soziale Dimension der Nachhaltigkeit, um Einhaltung wesentlicher Menschenrechts- und Sozialanforderungen geht.

Was müsste geschehen, um dies zu ändern?

Fuchs: Die Politik müsste für einheitliche Mindeststandards sorgen, um die gravierendsten Negativfolgen des Massentourismus zu verhindern. Reiseveranstalter sollten zudem verpflichtet werden, über die gesamte Dienstleistungskette ihres Urlaubsangebots und die Ökobilanz einer Reise zu informieren. Eine solche Transparenz würde den Kunden erheblich mehr Einflussmöglichkeiten geben und verantwortlichere Reiseentscheidungen befördern.

Trägt Tourismus auch selbst zur Verletzung von Menschenrechten und zur Nichteinhaltung sozialer Standards bei?

Fuchs: Es gibt zahlreiche Fälle, in denen die touristische Infrastruktur die Schutzrechte von Menschen verletzt. Zwei Beispiele aus Indien: Wasser-Freizeitparks verbrauchen dort so viel Wasser, dass mancherorts der Grundwasserspiegel sinkt und Landwirtschaft kaum mehr möglich ist. Hier wird das Recht auf Nahrung verletzt. Der wachsende Verkehr von Hausbooten entlang der Häuser und Hütten missachtet die Privatsphäre von Bewohnern, die berichten, dass sie sich kaum noch in Ruhe waschen können, weil sie dauernd fotografiert werden. In Ländern mit nomadisierenden Völkern ist die Landnahme ein Problem: Weil sie keine formalen Besitzrechte nachweisen können, werden in ihrem Gebiet auf vermeintlichem Brachland touristische Anlagen errichtet oder Land wird für die Produktion von Agrotreibstoffen genutzt.

Wann raten Sie von Reisen in bestimmte Länder ab?

Fuchs: Darauf gibt es keine pauschale Antwort, man muss jeden Einzelfall betrachten. Reisen bietet ja grundsätzlich die Chance, mit den Menschen in einem Land ins Gespräch zu kommen, das sorgt für Verständnis und vermeidet Isolation. Der Tourismus ist außerdem für die Einwohner häufig eine wichtige Einnahmequelle, beispielsweise in Nordafrika. Die Formel "Tourismus gleich Wohlstand" gilt aber nicht, wenn schlechte Arbeitsbedingungen herrschen und die meisten der für die Urlauber benötigten Produkte importiert werden, statt sie im Urlaubsland herzustellen. Der Gesamtnutzen des Tourismus für Entwicklungsländer wird zudem meist überschätzt.

In jedem Fall sollte man sich Informationen über seinen Urlaubsort beschaffen und die Situation dort mit offenen Augen betrachten, vielleicht auch einmal einen Blick hinter die Fassaden werfen. Wenn es in einem Land eine Oppositionsbewegung gibt, die Urlauber zum Boykott aufruft, würden wir ebenfalls von Reisen dorthin abraten. Beispiele sind Birma oder Südafrika während der Apartheid.

Wie sensibel sind deutsche Urlauber in Umweltfragen?

Fuchs: In ihrem Urlaubsort sind sie in der Regel sehr interessiert an einer sauberen und intakten Umwelt - der Tourismus lebt ja von dieser Ressource. Beim Reiseverhalten sieht das anders aus. Es gibt zum Beispiel keinen Hinweis darauf, dass die Zahl der Fernflüge in Zukunft nennenswert sinkt, eher im Gegenteil.

Ist Urlaub in Deutschland die bessere Alternative?

Fuchs: Er hat zumindest viel für sich. Im Einzelfall ist vermutlich die Radtour im Sauerland attraktiver als eine Fernreise in eine extrem heiße Region, wo man sich die Füße auf dem Sand verbrennt. Der Verzicht auf Besuche in anderen Ländern kann aber nicht das übergreifende Tourismuskonzept und die Lösung schlechthin sein. Wir müssen uns gleichwohl sehr viele Gedanken darüber machen, wie das absehbare, gigantische weltweite Wachstum an Flugreisen begrenzt werden kann. Um die klimaschädliche Wirkung zu begrenzen, ist vor allem ein Verzicht auf kurze, nur wenige Tage dauernde Fernreisen sinnvoll. In Europa gibt es überdies für fast alle Orte Alternativen zu einer Flugreise. Jeder Einzelne kann hier mit seinem Verhalten sehr viel steuern.

Welche Rolle spielt bei Flugreisen die Kompensation - also die finanzielle Unterstützung von Klimaschutzprojekten als Ausgleich für den Ausstoß von Treibhausgasen?

Fuchs: Grundsätzlich gilt die Formel "Reduzieren vor Kompensieren": Der Verzicht auf klimaschädliche Flugreisen ist der beste Weg, Kompensation der zweitbeste. Dies sollte zum Standard werden. Wünschenswert wäre es, wenn besser über die klimaschädlichen Wirkungen informiert würde und wenn Reiseveranstalter offensiver damit umgehen und diese Kosten direkt in die Preise einkalkulieren würden. Das muss aber seriös erfolgen - bei einer Kanarenreise sind 2,50 Euro kein ernsthafter Beitrag zum Klimaschutz. Wer selbst kompensieren will, kann dies bereits jetzt tun, beispielsweise über die Online-Angebote klima-kollekte.de oder atmosfair.de.

epd