Organspende: Tendenz zur "Entscheidungslösung"

Organspende: Tendenz zur "Entscheidungslösung"
In der Debatte über eine Änderung des Organspende-Gesetzes mehren sich die Stimmen für die sogenannte Entscheidungslösung. Bei einer Anhörung am Mittwoch im Bundestag sprachen sich Experten in Berlin mehrheitlich für diesen Weg aus, um die Zahl der Organspenden in Deutschland zu erhöhen. Damit unterstützten sie eine entsprechende Initiative aus dem Parlament. Die Gesundheitsminister der Länder wollten bis Donnerstag in Frankfurt am Main ebenfalls zu dem Thema beraten.

Die Entscheidungslösung sieht vor, dass jeder Bürger einmal in seinem Leben vom Staat gefragt wird, ob er sich als Organspender zur Verfügung stellen will. Das soll nach derzeitigen Planungen im Bundestag bei Anlässen wie der Ausstellung eines Ausweises oder des Führerscheins geschehen. In Deutschland gibt es jährlich etwa 12.000 Menschen, die auf ein Spenderorgan warten. Ein Drittel von ihnen stirbt jedes Jahr vor der lebensrettenden Transplantation.

[listbox:title=Die Alternativen[Zustimmungslösung: Nach dem Hirntod eines Patienten dürfen dessen Organe nur entnommen werden, wenn der Verstorbene vor seinem Tod seine Zustimmung gegeben hat oder seine Angehörigen in eine Transplantation einwilligen (gilt in Deutschland seit 1997).##Widerspruchslösung: Jeder kann nach seinem Tod zum Organspender werden, wenn er der Organentnahme zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen hat.##Entscheidungslösung: Jeder Bürger wird zu seiner Bereitschaft für oder gegen die Organspende befragt und die Entscheidung auf dem Personalausweis, Führerschein oder der Krankenversicherungskarte dokumentiert.]]

Die Fraktionsvorsitzenden von SPD und Union, Frank-Walter Steinmeier und Volker Kauder (CDU), wollen einen entsprechenden fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf nach der Sommerpause in den Bundestag einbringen. Die Entscheidungslösung könne Bewegung in die Debatte bringen, sagte Steinmeier: "Wir wollen nicht in alte Gräben zurückfallen." Das geänderte Transplantationsgesetz könne dann zum 1. Januar 2012 in Kraft treten.

Der Jurist und Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Edzard Schmidt-Jortzig, beurteilte in der Anhörung die Entscheidungslösung als verfassungskonform. Mit anderen Juristen und den Kirchen war sich der ehemalige Bundesjustizminister einig, dass es keine Erklärungspflicht geben dürfe. Die Organspende müsse ein freiwilliger Akt bleiben, betonte auch der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber. Der Transplantationsmediziner Eckhard Nagel sagte, die Bürger müssten in eine Situation versetzt werden, in der sie selbstbestimmt entscheiden könnten.

"Freiwillig" muss deutlich auf den Formularen stehen

Mehrere Experten wiesen darauf hin, dass die Bürger die Möglichkeit haben müssten, ihre Entscheidung später zu treffen oder zu einem späteren Zeitpunkt eine getroffene Entscheidung rückgängig zu machen. Die Philosophie-Professorin Weyma Lübbe wies in ihrer schriftlichen Stellungnahme auf den verbreiteten Respekt der Bürger vor amtlichen Formularen hin. Daher müsse die Freiwilligkeit deutlich vermerkt werden. Die staatlichen Institutionen dürften keinen Druck aufbauen, der die Freiwilligkeit der Entscheidung infrage stelle, ergänzte der Medizinrechtler Oliver Tolmein.

Der hessische Gesundheitsminister Stefan Grüttner (CDU) sprach sich hingegen im Deutschlandfunk für die sogenannte Widerspruchslösung aus. Danach kann ein Organ nach dem Tod entnommen werden, wenn der Betroffene zu Lebzeiten keinen Widerspruch eingelegt hatte und seine Angehörigen einer Organentnahme nicht widersprechen. Die Widerspruchslösung müsse möglicherweise mit der Entscheidungslösung kombiniert werden, um zu einem Kompromiss zu kommen, sagte Grüttner. Die Bundesregierung hatte bereits Anfang Juni einen Gesetzentwurf beschlossen, wonach es flächendeckend in den Krankenhäusern Transplantationsbeauftragte geben soll.

"Niemand darf zu einer Entscheidung gezwungen werden"

Patientenschützern gehen die Pläne zur Neuordnung der Organspende viel zu weit. "Die Politik nimmt die Vorbehalte der Bevölkerung nicht ernst", sagte der Geschäftsführende Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, der Nachrichtenagentur dpa. Die Widerspruchslösung sei "verantwortungslos". Die Entscheidungsregelung gehe zu weit: "Niemand darf zu einer Entscheidung gezwungen werden. Organspende muss ein Akt der Selbstbestimmung sein."

SPD-Fraktionschef Steinmeier betonte, dass die geltende gesetzliche Regelung aus den 1990er Jahren nicht ausreiche. Bei der erweiterten Zustimmungslösung dürfen Menschen im Todesfall nur dann Organe entnommen werden, wenn ein Dokument - etwa ein Spenderausweis - ihre Zustimmung zu Lebzeiten belegt oder wenn Angehörige einer Transplantation zustimmen.

In Befragungen seien 75 Prozent der Menschen bereit zur Organspende, sagte Steinmeier. Tatsächlich hätten nur 15 Prozent einen Spenderausweis. "Diese Kluft, diesen Widerspruch, den werden wir durch eine neue Regelung nicht ganz überwinden. Aber wir werden den Unterschied kleiner machen müssen", so der SPD-Politiker, der vor gut zehn Monaten seiner Frau eine Niere spendete, um ihr die sonst unvermeidliche Dialyse zu ersparen. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation sterben täglich drei Menschen, weil es kein Spenderorgan für sie gibt.

epd/dpa