Europas größter Basar muss der EM 2012 weichen

Europas größter Basar muss der EM 2012 weichen
Weg mit dem Alten, hin mit dem Neuen: Das werden sich die Polen auch gedacht haben, als sie den größten Basar Europas durch ein neues Stadion ersetzten. Noch ist dort, wo früher der Handel boomte, nur ein Haufen Schutt, aber bis zur Fußball-Europameisterschaft 2012 wird das neue Stadion stehen. Die Händler sind in ein neues Quartier gezogen.
22.10.2010
Von Jens Mattern

Herr Huan ist Besitzer eines vietnamesischen Lebensmittelgeschäfts in der großen Kaufhalle "Marywilska 44", am Rande von Warschau. Sein Laden ist meist leer, obwohl günstig an einem Ausgang gelegen. "Der Umsatz wird kommen", meint er mit einem schwachen Lächeln. Doch diese Halle sei kein Vergleich mit seinem früheren Standort, dem "Stadion".

Dort, wo Herr Huan früher seine hohen Umsätze machte, liegt heute ein riesiger Haufen aus Schutt, Wellblech und Holz, der von Baggern bearbeitet wird, das meiste ist schon weggetragen. Einige Hundert Meter daneben steht der Rohbau des "Nationalstadions" - hier, direkt am Ostufer der Weichsel, wird im Juni 2012 erstmals in Polen die Fußballeuropameisterschaft angepfiffen.

Den künftigen sportbegeisterten Massen mussten zuvor die Massen der Händler und Käufer weichen - fast zwanzig Jahre lang liefen auf diesem Gelände die Geschäfte des größten Basars in Europa. "Jarmark Europa" hieß dieser offiziell oder einfach "Stadion", benannt nach der sozialistischen Sportstätte, die in den 80ern still gelegt wurde und verfiel.

Drei Milliarden Euro Umsatz

In seinem Boom-Jahr 2001 setzten dort rund 10.000 Händler umgerechnet drei Milliarden Euro um, schätzt die polnische Ermittlungsbehörde CBS, eine Art Bundeskriminalpolizei. Es war die große Alternative der polnischen "Schlechterverdienenden" zum Einzelhandel und den Shopping Malls. Vornehmlich Kleider aus Fernost wurden gehandelt, aber auch auf "Verbotenes" wie auf alt gefälschte Ikonen, Raubkopien, geschmugelte Zigaretten oder Waffen - was auch für den berüchtigten Ruf des Marktes sorgte.

Nach den russischen Händlern setzten sich die Chinesen und Vietnamesen durch, die oft keine Aufenthaltsgenehmigung besaßen. Viele Bewohner der prosperierenden Finanzmetropole Warschau sahen im frühkapitalistischen "Stadion" einen Schandfleck. Der wilde Kapitalismus mit seinen Buden wurde in den letzten Jahren auch systematisch aus dem Zentrum mit seinen wachsenden Immobilienpreisen verdrängt, teils mit Polizeigewalt.

Die EM-Austragung lieferte für die Stadt die willkommene Vorlage, den Basar endlich räumen zu lassen. Nur noch der russische Zigarettenhandel in der Straßenbahnunterführung am Stadion soll übrig geblieben sein. Seit Anfang September ist die Adresse "Marywilska 44" die Alternative - mit sechs Hektar und 1.200 "Verkaufsboxen" die größte polnische Verkaufshalle Polens.

Rauer Ton in der Verkaufshalle

Die "Marywilska 44" scheint vorerst aber eine ungeliebte Alternative zu sein - jahrelang protestierten die Händler teils mit Gewalt dagegen, an den Stadtrand gedrängt zu werden. Die Bewohner des Stadtranddistrikts Bialoleka wollten wiederum die verrufenen Händler nicht, sondern lieber einen Park oder eine Schule auf dem Gelände. Die Stadt hatte bislang versäumt, in die Verkehrslogistik zu investieren, den Straßen Richtung Zentrum droht zur Zeit der Kollaps. Die Kundenmassen sind daher ausgeblieben.

Geblieben scheint der raue Ton des Stadions: Fotografieren ist selbst von außen streng verboten, Fragen sind unerwünscht, gesprochen wird allein über Zahlen. Zwei Herren mittleren Alters, die scheinbar locker umherschlendern, interessiert vor allem die Lizenznummer der Käufer. Sie sind von der Zivilpolizei, die illegalen Handel aufspüren wollen.

Die Ware kommt aus China

Geldbeutel, Uhren und Flachmänner mit "Manchester United"-Emblem kann man bei Anja K., einer zierlichen Frau Ende 30 erstehen - alles kommt direkt aus Hamburg, meint sie augenzwinkernd - dorthin hat ein Containerschiff die Ware aus China gebracht. Schon ihr Vater, ein gelernter Gerber hatte seine Erzeugnisse in dem Stadion verkauft, sie selbst ist diplomierte Volkswirtin.

Doch so leicht, wie es in den Medien steht, sei es eben nicht, eine Anstellung in der Wirtschaft zu bekommen. Auch sie trauert dem "Stadion" nach: "Da war es im Winter unangenehm, doch das Geschäft lief, hier ist die Pacht viel höher."

Auch in der Halle werden hauptsächlich Kleider verkauft. Das Angebot der vielen Vietnamesen und Chinesen gleicht sich und richtet sich an jüngere Kunden, während die polnischen Händler sich meist auf die ältere Kundschaft spezialisiert haben - "ich kaufe nur bei unseren", meint dazu auch eine ältere Frau mit Stock an der Bushaltestelle, die heute nicht fündig geworden ist.

epd