Ihre Eltern haben sie Fortuna genannt, nach der römischen Göttin des Glücks. Doch die letzten zwei Jahre waren für die 20-jährige Fortuna aus Äthiopien eher eine kontinuierliche Abfolge von Enttäuschungen und Pech. Ihr Plan, mit einem Menschenschmuggler-Boot von Libyen nach Italien zu gelangen, so wie ihre ältere Schwester, ging nicht auf. Kurz nach dem Ende ihrer entbehrungsreichen Reise quer durch die Wüste schloss der libysche Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi Freundschaft mit dem italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi.
"Der Weg nach Europa scheint dicht zu sein"
Jetzt sitzt Fortuna mit drei Landsleuten in einer Ein-Zimmer-Wohnung in Libyen und lebt von der Hand in den Mund. Obwohl sie nicht Muslimin ist, trägt sie auf der Straße ein Kopftuch. Fortuna will nicht auffallen. Sie spricht kein Englisch und nur wenige Worte Arabisch. "Ich habe keine Ahnung, wie es jetzt weitergehen soll, der Weg nach Europa scheint dicht zu sein", sagt sie. Zurück nach Äthiopien will sie - noch - nicht.
Gaddafi hatte Berlusconi vor zwei Jahren versprochen, ihm die unerwünschten afrikanischen Migranten künftig vom Leib zu halten. Seit Mai 2009 machen die libyschen Sicherheitskräfte an der Küste Jagd auf die Menschenschmuggler, die von den illegalen Einwanderern bisher für eine Überfahrt rund 1200 Euro kassierten. Wer es trotzdem noch schafft, ein Boot zu Wasser zu lassen, riskiert, von den neuen Patrouillenbooten, die Berlusconi in das Seegebiet südlich der Insel Lampedusa geschickt hat, zurückgeschickt zu werden.
Keine Chance auf Asyl
Eines steht fest: Diese Maßnahmen zeigten schnell ihre Wirkung. Nach Angaben der Europäischen Kommission kamen 2008 mehr als 32.000 illegale Migranten in Italien an. Ein Jahr später waren es 7.300. Internationale Menschenrechtsorganisationen kritisieren diese Praxis jedoch, weil keiner der Zurückgeschickten in Libyen Chancen auf Asyl hat. Denn Libyen hat die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet.
"Im Prinzip könnten die illegalen Einwanderer in Libyen alle abgeschoben werden, aber das wird von den Behörden hier nicht immer so streng gehandhabt", erklärt der Leiter des Büros der UN-Organisation für Migration (IOM) in Tripolis, Laurence Hart. Die IOM hat in den vergangenen vier Jahren rund 5.000 illegalen Einwanderern ein Flugticket von Libyen zurück in ihre Heimat bezahlt und ihnen eine kleine Starthilfe zukommen lassen. Zu ihren Erfolgsgeschichten gehört eine Gruppe von 35 Ghanaern aus der Region Nkoranza, die gemeinsam den Rückweg antraten, und daheim eine Kooperative für den Anbau von Sonnenblumen gründeten.
Wieviele illegale Einwanderer aus afrikanischen Staaten aktuell in Libyen leben, weiß niemand genau. Experten schätzen, dass es rund 1,5 Millionen Menschen sind. Etwa 2.000 Menschen sterben jedes Jahr bei dem verzweifelten Treck nach Norden. Nach Angaben eines libyschen Beamten werden pro Jahr zwischen 1.000 und 1.500 Leichen illegaler Einwanderer in der libyschen Wüste gefunden. Sie verdursten, wenn das Auto der Menschenschmuggler im Sandsturm vom Kurs abkommt, wenn es irgendwann keinen Sprit mehr gibt, keine Batterie, die das GPS-Gerät auflädt und kein Wasser. Etwa 600 Tote pro Jahr fand man im Mittelmeer.
"Ich will nicht im Wasser sterben"
Auf den Straßen der libyschen Städte sieht man seit einigen Monaten noch mehr Wirtschaftsflüchtlinge aus West- und Ostafrika als zuvor. Denn die Libyer hatten am 15. Juli die Tore von allen 18 Internierungslagern für illegale Einwanderer geöffnet. Die etwa 3.700 Insassen der Lager erhielten eine Frist von drei Monaten. Wer sich bis Mitte Oktober beim Konsulat seines Landes Papiere besorgt und einen Job gefunden hat, darf dann erst einmal bleiben.
Abdullah aus Niger hat eine Anstellung bei der Stadtverwaltung von Tripolis gefunden. Der hochgewachsene Mittdreißiger trägt einen orangefarbenen Overall, der ihm viel zu kurz ist. Hinter dem Gebäude der italienischen Botschaft kehrt er Laub auf der Straße zusammen. Von Europa träumt er nicht. Er hat Angst vor den riskanten Überfahrt in einem kleinen Boot. "Ich will nicht im Wasser sterben", sagt er. Er hofft, dass er in acht Monaten in Libyen genug verdienen kann, um mit ein bisschen Geld in der Tasche nach Hause zurückzukehren.
Libyen ist mit den anderen nordafrikanischen Staaten nicht zu vergleichen, denn viele der illegalen Wirtschaftsmigranten, die mit Booten aus Ägypten, Tunesien und Marokko nach Europa kommen, sind Bürger dieser arabischen Länder. "Die Libyer dagegen besorgen sich für die Reise nach Europa ein Visum", sagt IOM-Leiter Hart. Und weil die Libyer besonders gerne in der Business Class sitzen, bieten viele europäische Fluggesellschaften, die Tripolis anfliegen, auf dieser Strecke besonders viele Sitze in dieser Klasse an.