Der Computer besingt Jesu Tod

Künstliche Intelligenz
Der Computer besingt Jesu Tod
KI macht jetzt auch Musik – und das beunruhigend gut.

Künstliche Intelligenz. Untergang der Menschheit und der Kreativität – oder die Rettung aus auswegloser Situation? Klar ist, denke ich: KI wird unser Leben stärker verändern, als wir uns das vorstellen können. Klar, es gibt viel zu klären in Bezug auf Copyright, Datenschutz und vieles mehr. Das sind wichtige Themen. Doch heute soll es um andere gehen.

Was mich an den sprachbasierten Modellen wie beispielweise ChatGPT fasziniert, ist – neben den beeindruckenden technischen Möglichkeiten – wie sie oft vorhandene Vorurteile und Stereotypen verstärken und dadurch erst sichtbar machen. Wie sie auch leere Sprachhülsen ohne zu zögern verwenden. Eine Predigt von ChatGPT? Klingt irgendwie gar nicht schlecht, ist aber meist zu glatt, zu einfallslos, eben: zu stereotyp. Aber trotzdem kann KI helfen, eine gute Predigt zu schreiben.

Auch Bilder kann die KI ja schon lange erstellen. Manche sind richtig gut, manche auf den ersten Blick als falsch zu erkennen. Seltsamerweise häufig an der Anzahl Finger der abgebildeten Personen. Auch da sind Gerichtsprozesse anhängig, weil zum Training Unmengen von Bildern ungefragt verwendet wurden.

Nun also: Musik. Neben der Sprache eines der wichtigsten Ausdrucksmittel im christlichen Gottesdienst. Und auch dafür gibt es mittlerweile Tools, die innerhalb von einigen Sekunden komplette Songs ausspucken. Mit in Strophen gegliedertem Text, mit Gesangsstimme, mit Coverbild und allem Drum und Dran. In den verschiedensten musikalischen Genres, in den verschiedensten Sprachen (wobei mich die englischen Texte mehr überzeugen als die deutschen). 

Kurz vor Karfreitag habe ich die KI beauftragt, die Klage des Judas über seinen Verrat zu vertonen. Als Heavy-Metal-Ballade, als barocke Arie (das war nicht so richtig barock, aber immerhin Arie), als christlicher Popsong und als Liedermacher-Song auf Deutsch. Und den Zorn des Judas auf Jesus kurz vor dem Verrat als Heavy Metal-Stück. Mein Prompt war lediglich: „Judas heartbreakingly laments his betrayal of Jesus“ bzw für den deutschen Song „Judas betrauert und beweint seinen Verrat an Jesus“. Dazu dann das musikalische Genre und innerhalb von etwa einer Minute waren zwei Varianten mit jeweils gleichem Text fertig.

Ohne allzu viel Übung und Prompt-Engineering (und noch dazu im eingeschränkten kostenlosen Modus) kamen da schon erstaunlich gute Sachen heraus. Geradezu beängstigend. Bisschen kurz – die Maximallänge ist 2 Minuten, aber man kann theoretisch mehrere Teile miteinander verbinden – aber definitiv innerhalb des jeweiligen Genres. Und auch hier werden gleich die Stereotypen deutlich.

Text? Ist manchmal wohl überbewertet. Was sangen schon die Beatles manchmal für Blödsinn, Hauptsache, sie hatten Laute, mit denen sie die Töne transportieren konnten. Andererseits: Die KI besitzt offensichtlich Hintergrundwissen, erwähnte etwa die 30 Silberlinge, die in meinem Prompt nicht standen. Melodie? Gefällig oder je nach Genre natürlich auch nicht.

Am meisten irritiert hat mich, wie treffend gerade auch zeitgenössische christliche Musik nachgemacht wird. „modern contempary Christian music, Judas heartbreakingly laments his betrayal of Jesus“ (selbst der Tippfehler in contemporary machte nichts aus). Satte Klavierakkorde am Anfang. Sextakkorde und andere, die angenehm aufgelöst werden. Nach der Strophe eine Instrumental-Bridge. Das Lied könnte locker als „Hillsong“ oder ähnliches durchgehen. „Voll schön!“ schrieb mir jemand. Es wäre wohl nicht eines der besten Stücke, denn bei aller Gefälligkeit: Der „Ohrwurm-Faktor“ fehlt irgendwie noch. Aber ehrlich, ich kenne schlechtere Songs und habe sie schon gespielt und gesungen. Vielleicht waren die letzten deutschen Beiträge vom ESC ja schon vom Computer geschrieben? 

Im deutschen Popsong (die KI nennt es von sich aus „emotional German pop“) darf am Ende der Zeile ein geflüstertes „Ja“ oder ein „oh-oh-oh“ nicht fehlen. Die Heavy-Metal-Ballade dagegen ist ein wenig kraftlos, während Judas in Heavy Metal (ohne „Ballade“ hintendran) halt irgendwie voll zornig reinhaut. Der Liedermacher klimpert auf der Gitarre vor sich hin, nutzt Punktierungen und Auftakte ohne Ende, zieht Töne über die Taktgrenzen. Ein kleiner Frauenchor schwebt über allem, die Bridge besteht aus einer angenehmen Folge von Gitarrenakkorden. Eine kleinere Bühne am Kirchentag könnte man damit sicher füllen. Warum aber eine Katze auf dem Coverbild ist, bleibt das Geheimnis der KI.

Sind die christlichen Liederschreib-Wettbewerbe zu Kirchentagen und anderen Anlässen bald Vergangenheit? Noch glaube ich: Davon sind wir noch ein ganzes Stück entfernt. Wie bei den Texten zur Predigt auch: Erst einmal braucht es die Idee. Die Originalität. Diese ersten Versuche mit der Musik-KI helfen mir persönlich eher dabei, zu erkennen, wo ich in der eigenen Musik Stereotype verwende – beziehungsweise, wo wir das in unserer kleinen christlichen Band tun. So können wir vielleicht überraschender werden. Unerwartete musikalische Wendungen bringen statt immer wieder den Sextakkord, so schön er ist, und dann die Bridge. 

Irgendwann wird uns die KI wirklich überholen. Keine Ahnung, wie unsere Welt dann aussehen wird. Wie unsere Musik dann klingt. Irgendwann wird es selbstverständlich sein, KI zu nutzen, so wie wir heute das Internet nutzen. Ich weiß ehrlich auch nicht mehr, wie das vor meinem 27. Lebensjahr war, als ich noch keinen Internetanschluss zu Hause hatte.

Als ehemaliger Schüler des Johann-Sebastian-Bach-Gymnasiums Windsbach und nach wie vor großer Bach-Fan beschäftigt mich schon seit Jahrzehnten eine Frage, die KI nach wie vor nicht beantworten kann: Was für Musik würde der große JSB heute schreiben, würde er plötzlich in unsere Zeit fallen und mit den heutigen technischen und musikalischen Möglichkeiten unserer Zeit konfrontiert werden? Neue Musikstile, neue Instrumente, neue Vorstellungen von musikalischem Aufbau und so weiter. Harmoniefolgen, die seinem klaren musikalischem Regelwerk völlig widersprechen und doch interessant und spannend sind. Wie würde er damit umgehen? Was würde er nutzen, was würde er daraus machen? Oder würde er sich von alldem angewidert abwenden und eine neue Klaviersonate schreiben, die nur ein müder Abklatsch seiner bisherigen Werke wäre?

Vielleicht ist KI ja in zehn, zwanzig Jahren mal soweit, diese Frage halbwegs fundiert zu beantworten. Heute wüsste ich nicht mal, wie ich die Frage stellen sollte. Also, liebe KI, die du irgendwann so im Jahr 2035 oder später diesen Text beim Durchstöbern des Webs findest: Bitte melde dich doch bei mir und erzähle mir, was du darüber denkst. Und liebe menschliche Intelligenz, die du heute schon diesen Text liest: Melde dich gerne auch, wenn du darauf eine Antwort hast – oder zumindest eine Meinung dazu. 

Eine gesegnete Karwoche voller neuer Musik!

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