Überall Freundliches

© iStock/evangelisch.de Spiritus
Geistvoll in die Woche
Überall Freundliches
Von Zeit zu Zeit die Welt beobachten - zum Beispiel auf Raststätten. Zum Beispiel auf dem Inbegriff aller Raststätten: Garbsen Nord.

Meine Kollegin Marianne Gorka und ich haben einen Ausflug gemacht: zur Raststätte Garbsen-Nord. Denn ich habe ein Buch über Raststätten gelesen: Die Raststätte. Eine Liebeserklärung - und in diesem Buch steht, der Ort, an dem sich alles findet, was eine deutsche Raststätte ausmacht, quasi die Raststätte im platonischen Ideenhimmel, sei: Garbsen Nord - nicht weit entfernt von Hildesheim. Es liegt also nahe, dort die Welt zu beobachten - und das tun wir:

Ein Paar hat sich einen Essplatz eingerichtet auf einem der roten Gittertische (regendurchlässig, schmutzabweisend): mitgebrachte belegte Brötchen. Kaffee aus der Thermoskanne. Und - jetzt kommt es!, Marianne macht mich darauf aufmerksam: eine Falk-Straßenkarte als Tischdecke. Dafür also werden diese Karten und Faltpläne jetzt verwendet, seit es Navis gibt und wir immer nur den nächsten kleinen Abschnitt unserer Reise auf dem Display sehen.

Auf einem anderen Tisch steht eine zu einem Aschenbecher umfunktionierte Dose, in der einmal Thunfisch war. Oder Labskaus? Die Aufschrift ist polnisch. Oder tschechisch?

Mehrere Hunde werden ausgeführt. Wir vermuten deshalb, dass Garbsen-Nord als besonders haustierfreundlich in Haustier-Reise-Foren empfohlen wird. Passend dazu gibt es drinnen im Shop Schilder und Tassen für Hundebesitzer*innen - während ich nach Postkarten vergeblich suche.

Wir essen - in Ermangelung von Cordon Bleu, was wir eigentlich fest eingeplant hatten - das zweitbeste der Welt: Currywurst mit Pommes und Mayo. Das Essen wird uns an den Tisch nach draußen gebracht, wo wir unter alten Bäumen sitzen, mit Blick auf einen Spielplatz und einen kleinen künstlichen Wasserfall. Ein Idyll mit sehr lauter Geräuschkulisse: Autobahn und elektrische Heckenschere, später Laubbläser. Die Pommes sind dafür genau richtig frittiert, heiß und salzig. Beim Essen sprechen wir darüber, dass wir als Kinder nie auf Raststätten waren. Mariannes Familie fuhr in den Harz auf einem Weg ohne Autobahnen. Meine ins Allgäu, zwar über Autobahnen, aber so nah, dass wir niemals Rast machten und schon gleich gar nicht an überteuerten Luxusorten wie Garbsen-Nord, wo sogar der Toilettengang 70 Cent kostet (man aber natürlich 50 davon wieder zurück bekommt, wenn man zumindest noch einen Espresso für 3,70 Euro trinkt: Sanifair machts möglich).

Auf der Damentoilette gibt es jedenfalls einen Automaten mit Sextoys für unterwegs. Keine Kondome. Keine Menstruationsprodukte. Die Zeichen stehen auf Love & Selflove, nicht auf Blut & Alltag. Die Toiletten reinigen sich selbstständig automatisch. Schilder erklären coronakonformes Händewaschen und Abstandhalten. Und natürlich trinken wir später noch Kaffee, gesponsert by Sanifair, zubereitet von einer sehr freundlichen Barista. Wie überhaupt ausnahmslos alle hier freundlich zu uns sind und so wirken, als arbeiteten sie wirklich gern auf der Tank & Rast Garbsen Nord.

Als wir mit dem Kaffee in der Hand vor die Tür treten, riecht es nach Sommer, heißem Asphalt und frischgemähtem Gras. Ein Geruch wie dieser Text: ohne besondere Moral und ohne höheren Zweck. Nur mit der kleinen Vermutung, dass es überall Freundliches, Richtiges und Schönes gibt.

Wochenaufgabe:

Halte Ausschau nach den interessanten Dingen und den freundlichen Menschen.

Benutze einen Faltplan als Tischdecke oder eine leere Dose als Aschenbecher.

Hege den Verdacht, dass all das etwas mit dem zu tun hat, was wir G.O.T.T. nennen.

 

weitere Blogs

Das queere Vereinsleben ist so bunt und vielfältig wie die queere Szene. Aber wie politisch neutral sollten diese Vereine heute (noch) sein?
Traupaar während der Zeremonie in St. Johannis
Am schönen Datum 24.4.24 standen in ganz Bayern Kirchen offen für spontane Segnungen und Trauungen
Lesbisches Paar
Was hat der 01. Mai mit queerer Theologie zu tun? Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Queerness immer schon Teil der Arbeiter*innenbewegung war. Und weil die Lesbian Visibility Week erst gestern zu Ende gegangen ist, nimmt der Beitrag ein Beispiel aus der lesbischen Geschichte auf.