Der Frust der Römer: Überleben im Chaos

Der Frust der Römer: Überleben im Chaos
Ständig aufgerissene Straßen, eingerüstete Häuser, Lärm, Gestank: Der Alltagsstress vieler Römer hat mit dem pittoresken Postkartencharme der italienischen Metropole nicht viel zu tun. Der Autor Luca Leone hat sich nun seinen Frust über die Ewige Stadt von der Seele geschrieben.
26.03.2010
Von Hanns-Jochen Kaffsack

Rom, das ist der herrliche Petersplatz mit Blick auf den Dom und die Gemächer des Papstes. Die Ewige Stadt glänzt mit der Spanischen Treppe, dem weltbekannten Trevi-Brunnen und ihrem Kolosseum. Doch während die Tiber-Metropole jährlich Millionen Touristen aus aller Welt anzieht, die sich so einen Traum erfüllen wollen, kennt der Römer manchen Tag voller Frust. Denn er muss in einer lärmenden, stinkenden Welt überleben, in der ständig irgendwo Straßen aufgerissen und Häuser eingerüstet werden. Streiks legen ein Nahverkehrsnetz lahm, das seinen Namen nicht verdient. Der Handwerker kommt einfach nicht, viele sind gestresst, übelgelaunt.

"100 sehr gute Gründe, Rom nicht zu lieben"

Den krassen Gegensatz zwischen den pittoresken Postkarten von den antiken Stätten oder der Piazza Navona und dem Alltagsstress erträgt nicht jeder Römer unendlich lange. Wer kann, zieht sich auf die Terrasse seiner teuren Wohnung zurück oder sucht sich eine Bleibe am Stadtrand. Oder aber er schreibt sich seinen ganzen Frust einfach von der Seele - diesen Weg ist der Journalist und Autor Luca Leone, Jahrgang 1970, gegangen. Und siehe da, es kamen mehr als 200 Seiten zusammen und "100 sehr gute Gründe, Rom nicht zu lieben". Die Gründe hat er trotz seiner Wut noch alphabetisch ordnen können: Sie reichen von "abusivismi" (Vetternwirtschaft, illegaler Handel, wildes Bauen) bis zu den "zone pedonali", den Fußgängerzonen, die doch keine sind.

Amin von der Reinigung an der Via del Boschetto zieht genervt die Augenbrauen weit hoch. Schon wieder, zum gefühlten sechsten Male in wenigen Monaten, reißen sie also das Kopfsteinpflaster vor seiner Tintoria auf. Wahrscheinlich hatte man doch noch ein paar Rohre vergessen. Wochen wird es also wieder dauern, bis etwas Ruhe einkehrt. "Ja, das ist Rom, das ist Italien", meint Amin grimmig. Spielt er jetzt den Nestbeschmutzer? "Nein, ich komme aus Beirut, und mein Schneider ist ein Chinese", kontert er, schon wieder lächelnd.

Krank, korrupt, verlogen

Alles habe er früher an Rom geliebt, meint der 44-jährige Autor, Schauspieler und Regisseur Stefano Dionisi: "Die Leute und Häuser, das lustige, unbekümmerte Stimmengewirr morgens in den Gassen und auf den kleinen Plätzen, die Jahrhunderte alten Pinien und auch die unverwechselbaren Farben Roms." Aber was dann kommt, das sieht nach gründlich enttäuschter Zuneigung aus: "Die Kapitale von einst ist zur Hauptstadt eines kranken, korrupten und verlogenen Italien geworden." Das ist starker Tobak, auch wenn viele in Rom beklagen, dass es mit der Lebensqualität in den vergangenen Jahren bergab gegangen sei.

Japanische Touristen, die wie Zitronen ausgepresst werden. Die zahlreichen Mafia-Clans, die vorzugsweise in der bekannten Via Veneto einkaufen, auch um Geld zu waschen. Dazu die in den römischen Zeitungen immer wieder auftauchenden Meldungen über brutale Attacken auf Schwule, über Baby-Gangs und Drogenhandel. In der Abrechnung des Luca Leone mit seiner Metropole geht es also nicht nur um Dezibel und miese Luft, um das wilde Parken allenthalben, das oft die halbe Stadt zu lähmen droht. Es dreht sich auch um die 6.000 Obdachlosen und um die schlimmen sozialen Widersprüche in der "Metropole der Macht", in der Politiker jedes Privileg zu haben scheinen und das gern zeigen.

Mindestens zwei positive Dinge

Auf einer ganz düsteren Note kann aber keiner enden. Und so schreibt sich Luca Leone nicht nur "100 ottime ragione per non amare Roma" von der Seele, er schließt mit jenen "mindestens zwei Dingen", derentwegen man die Kapitale noch wie verrückt anbeten könne: Da sind zum einen die über 2.600 "nasoni", jene einzigartigen kleinen Brunnen, aus denen überall in Rom das Trinkwasser gratis sprudelt. Und dann meint der Rom-Kritiker fast versöhnlich, dass seine Stadt immer noch "die Weltkapitale ist, es aber nicht weiß". Goethe zitierend und auch Rainer Maria Rilke, wartet der frustrierte, genervte, empörte Autor also darauf, "dass Rom wieder dahin zurückkehrt, es selbst zu sein".

dpa