Merkel pachtet das Christliche: Drei Fragen an Ernst Elitz (11)

Merkel pachtet das Christliche: Drei Fragen an Ernst Elitz (11)
Pointierte Anmerkungen zu Politik und Zeitgeschehen: Als erfahrener Journalist ist Ernst Elitz gewohnt, den Mächtigen kritisch auf die Finger zu schauen, verschleiernde Worthülsen zu knacken und das Zeitgeschehen bisweilen bissig zu kommentieren - wobei er übrigens das Neue Testament als ein Vorbild sieht: Beispielhaft in seiner klaren und pointierten Aussprache sei es, ein guter Lebensentwurf für Ehrlichkeit, Aufklärung und Menschenwürde. Jeden Freitag beantwortet Ernst Elitz drei Fragen für evangelisch.de.
26.02.2010
Die Fragen stellte Ulrich Pontes

evangelisch.de: Nun stecken beide großen Kirchen im Schlamassel: Auf evangelischer Seite hinterlässt der Abgang der charismatischen Chefin eine klaffende Lücke, die katholischen Offiziellen sind durch die Missbrauchs-Thematik absorbiert. Was heißt das für den öffentlichen Diskurs im Land - gehen christliche Positionen beispielsweise in der Sozialstaatsdebatte nun völlig unter?

Elitz: Das Christliche hat jetzt die Kanzlerin gepachtet. In ihrem Interview mit der FAZ hat sie alle paar Absätze von der "christlich-liberalen" Koalition gesprochen. "Schwarz-gelb" ist gestrichen. Mit der Berufung auf das Christentum will die Union sich emotional und ideologisch aufladen. Die Kirchen müssen sich nachdrücklich gegen diese Inanspruchnahme ihres Wesenskerns zur Wehr setzen. Nichts kann ihnen mehr schaden, als wenn die parteipolitischen Propaganda-Schlachten um Hartz IV plötzlich mit dem Panier des Glaubens geschlagen werden. Was christlich ist – in der Vielfalt der Überzeugungen - entscheiden die Kirchen und die einzelnen Gläubigen, aber keine Parteitage und keine Partei-Werbeagenturen. Vielleicht will die Kanzlerin mit dieser Volte auch die FDP piesacken. In den Liberalen schlummert noch das alte antiklerikale Gen, das bei der Justizministerin mit ihrer Attacke auf die katholischen Bischöfe gerade wieder mal ausgebrochen ist. Da hat die Pastoren-Tochter Merkel sich auf die Seite der Kirche geschlagen, und das Episkopat kann sie trotz ihrer Papstkritik endlich wieder guten Gewissens ins Herz schließen. Aber konvertieren wird sie deshalb wohl nicht.

evangelisch.de: Atomkraft, Kopfpauschale, Hartz-IV-Debatte, weitere Steuersenkungen: Die Koalitionäre in Berlin scheint momentan vor allem der Dissens zu verbinden. Selbst Angela Merkel wurde zuletzt immer deutlicher in ihrer Kritik an Guido Westerwelle. Im jüngsten FAZ-Interview wirft sie ihm, wenn auch verklausuliert, populistische Stimmungsmache beim Thema Hartz IV vor. Wie sind diese Risse wieder zu kitten?

Elitz: Im Moment will keiner kitten. Im Gegenteil, FDP und CDU markieren ihre Positionen, gegeneinander. Die Bruchlinien werden deutlich. Darüber kann der Kompromiss zur Bildung einer Gesundheitsreform-Kommission ebenso wenig hinwegtäuschen, wie die Verschiebung der Steuerdebatte auf die Zeit nach der NRW-Wahl oder die Echternacher Springprozession der CDU zur Kernkraft. Je stärker die Koalitionsparteien sich gegeneinander profilieren, desto näher kommt der Zeitpunkt, wo die Bürger sich fragen: Was haben die denn noch gemeinsam? Für diesen Fall hat Rüttgers schon vorgesorgt, indem er einen der Mitbegründer der Pizza-Connection, in der sich junge Abgeordnete von CDU und Grünen zusammenfanden, zu seinem neuen Generalsekretär und Wahlkampfleiter berufen hat. Da ist er für den Fall der Fälle gesichert.

evangelisch.de: Für die CDU in Nordrhein-Westfalen kommt die Diskussion denkbar ungelegen, ein Vierteljahr vor der Landtagswahl: "Sponsoring" ist plötzlich in aller Munde, es geht um neue Grauzonen der Parteienfinanzierung. Geld gegen Präsenz, tatkräftige Unterstützung von Parteiveranstaltungen, Entsendung von Experten in Ministerien - wo verläuft die Rote Linie? Ist die Glaubwürdigkeit der Politik noch zu retten?

Elitz: Ziemlich viel auf einmal. Erstens: Dass sich Unternehmen und Verbände jedweder Branche und jedweder Couleur auf Parteitagen präsentieren, ist eine gute alte Tradition und erweitert den Informationshorizont der Delegierten. Und insgeheim hofft jeder: Hoffentlich kommt der Ministerpräsident vorbei und lässt sich mit mir fotografieren. Aber das darf nicht erkauft werden. Überraschung gehört dazu. - Zweitens: Die Beamtenlaufbahn entfremdet vom wirklichen Leben. Die Lösung: Entweder man schickt die Beamten alle paar Jahre hinaus in die Praxis. Das wollen sie nicht. Und da will sie auch keiner haben. Oder man holt sich Leute, die sich ständig mit den Alltagsproblemen herumschlagen müssen, in die Ministerien und nutzt für einzelne Projekte ihren Sachverstand. Das heißt man nutzt sie aus, aber lässt sich nicht von ihnen instrumentalisieren. Das muss von Anfang an klar sein. Dann können Grauzonen gar nicht entstehen.


Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete.