ARD-Deutschlandtrend: Rösler-Reform entzweit

ARD-Deutschlandtrend: Rösler-Reform entzweit
Im Koalitionsstreit um die Gesundheitsprämie zeichnet sich keine Annäherung ab. CSU-Chef Horst Seehofer wies nun auch den Plan von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) für eine behutsame Einführung entschieden zurück. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stärkte dagegen Rösler den Rücken. Sie versicherte am Donnerstag in den ARD-"Tagesthemen", der geplante Systemwechsel werde "Schritt für Schritt sinnvoll und vernünftig gemacht".

Die FDP-Gesundheitsexpertin Ulrike Flach brachte erstmals das niederländische Prämienmodell als Vorbild ins Spiel. Fast drei von vier Bundesbürgern lehnen eine Neuordnung des Gesundheitssystems ab. Nach der Ankündigung von Zusatzbeiträgen droht den betroffenen gesetzlichen Krankenkassen eine Austrittswelle.

Merkel sagte, die Kosten im Gesundheitssystem würden Jahr für Jahr steigen. Es müsse alles daran gesetzt werden, "dass das nicht auf die Arbeitskosten zurückfällt". Die Lohnzusatzkosten dürften nicht wieder über 40 Prozent steigen. Deshalb müsse erst einmal versucht werden, Kosten zu dämpfen "gerade auch bei der Pharmaindustrie". Gleichzeitig müssten mehr Wettbewerb und Angebote bei den Kassen geschaffen werden.

Steinmeier: Pläne sind "Sprengsatz" für die Gesellschaft

Rösler hatte die Bedenken der CSU mit dem Argument zu zerstreuen versucht, bei einer schrittweisen Einführung der Pauschale plus Steuerausgleich gebe es keine Finanzierungsprobleme. "Auch das druckt das Geld nicht, das der Staat für den damit verbundenen Sozialausgleich bräuchte", sagte Seehofer im "Handelsblatt" (Freitag). CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sagte "Spiegel Online": "Herr Rösler sollte weniger Tagträumereien über Kopfpauschalen nachhängen, sondern engagiert die heute anstehenden Hausaufgaben machen."

FDP-Expertin Flach brachte die niederländische Form der Gesundheitsprämie als Vorbild ins Spiel. "Der Satz ungefähr so, wie wir es in unserem Nachbarland Holland auch haben", sagte sie. Die Versicherten in den Niederlanden müssen eine jährliche Pauschale von rund 1.100 Euro zahlen. Viele sind auf Hilfe vom Staat angewiesen.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier kritisierte die Pläne als "Sprengsatz" für die Gesellschaft. Grünen-Chefin Claudia Roth sagte: "Schwarz-Gelb treibt unser Land in Riesenschritten hin zu einer Zwei-Klassen-Medizin."

Drei von vier Bürger: Bestehendes System in Ordnung

Fast drei von vier Bürgern sind laut ARD-"Deutschlandtrend" der Ansicht, das bestehende System sei im Prinzip in Ordnung und müsste nur hier und da ein bisschen verändert werden. 27 Prozent sind der Meinung, dass generell ein neues System gebraucht werde. Der Sozialverband Deutschland und die Volkssolidarität forderten, Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssten wieder gleich viel bezahlen.

Bei der ersten großen Kasse mit Zusatzbeiträgen, der DAK, sind nach einem Bericht der "Bild"-Zeitung bereits 5.300 Mitglieder ausgetreten. Die Kasse wollte die Zahl nicht bestätigen. "Es gibt keine große Kündigungswelle", sagte DAK-Sprecher Jörg Bodanowitz. Die Daten lägen allerdings noch nicht vor. Doch habe es seit Januar 12.000 Neuaufnahmen gegeben. Derzeit würden die rund 4,9 Millionen Mitglieder über die Erhöhung um acht Euro per Brief informiert.

"Die Wechselwut wird sich deutlich steigern"

Das Blatt berichtete weiter, bei der Deutschen BKK seien rund 1.000 Versicherte ausgetreten. Gesundheitsökonom Jürgen Wasem sagte der Zeitung: "Die Wechselwut wird sich deutlich steigern." Bürokratiechaos drohe, weil alle Kassenwechsler neue Versichertenkarten bräuchten.

In einem der Deutschen Presse-Agentur dpa vorliegenden Brief an die Koalitionsabgeordneten schrieb Rösler: "Ich gehe zudem davon aus, dass in einer schwierigen finanziellen Situation auch Rücklagen eingesetzt werden, um eine steigende Belastung der Versicherten zu vermeiden." Der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, kritisierte in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" die gemeinsame Ankündigung mehrerer Kassen von Extra-Beiträgen: "Vorstellbar ist, dass wir ein Verfahren einleiten werden."

dpa