Nach vorn blicken: Weihnachten nach dem Erdrutsch

Nach vorn blicken: Weihnachten nach dem Erdrutsch
Lothar Gareis holt für diesen Satz tief Atem: "Und dann durfte ich nicht mehr wieder zurück." Fünf Monate sind seit der Katastrophe vergangen, auf die ganz Deutschland mit Entsetzen geblickt hat. Am 18. Juli riss ein gewaltiger Erdrutsch frühmorgens in Nachterstedt drei Menschen in den Tod und zwei Häuser in den Concordia-Tagebausee. 41 Menschen verloren ihr Heim und mussten von heute auf morgen umgesiedelt werden.
21.12.2009
Von Leticia Witte

Lothar Gareis, Jahrgang 1938, ist einer von ihnen. Der Rentner will nach vorn blicken, auch zu Weihnachten. "Man darf dem nicht nachtrauern, es hilft alles nichts." Er sieht die Fotos auf seinem Küchentisch an: eine Gartenparty, der gepflegte Rasen, ein Grill. Diese Erinnerungen gehören zu seinem einstigen Wohnhaus, das nur 30 Meter von der Abbruchkante, die der Erdrutsch hinterließ, entfernt steht.

Wenn er an den verhängnisvollen Sommertag und seine früheren Nachbarn denkt, meint Gareis: "Im ersten Augenblick war es traurig. Wir hatten viel." Aber auch heute steht der Rentner nicht mit leeren Händen da. Der Tisch, auf dem er die Fotos ausgebreitet hat, steht in seinem neuen Haus, das er nach einem provisorischen Aufenthalt in einer Ferienwohnung gemietet hat. Die Hausnummer: 38, genau wie sein Geburtsjahr.

Die abendliche Bierrunde fehlt

Rund um das rot geklinkerte Gebäude mit dem Walnussbaum im Hof liegt frischer weißer Schnee. Ansonsten deutet kaum etwas darauf hin, dass in ein paar Tagen Weihnachten ist. Ob er einen Christbaum aufstellen wird, weiß Gareis noch nicht. Vielleicht werde er sich einen Nadelbaum aus dem Garten holen. Überhaupt wird er recht einsilbig, wenn es um die Festtage geht. Die Feststellung, dass es die ersten Feiertage nach der Katastrophe sind, kommentiert er mit der Äußerung: "Es läuft ganz normal, das Leben."

Was ihm fehlt, sei die Gemeinschaft mit den früheren Nachbarn der Siedlung "Am Ring". "Jeden Abend um 18 Uhr haben wir ein Bierchen getrunken", erzählt Gareis lächelnd. "Wir waren zusammen, wie eine Familie." Vor ein paar Tagen sei zum ersten Mal jemand, der früher dabei war, zur abendlichen Bierrunde vorbeigekommen. Ob dieser Teil des Lebens zurückgeholt werden kann, stehe aber in den Sternen, meint der alleinstehende Mann. Bislang sei eher jeder mit sich selbst beschäftigt.

Wünsche für 2010: Gesundheit - und Glück

"Es ist normal, dass jeder so seinen Weg geht", sagt Siegfried Hampe, Ortsbürgermeister des 2000-Einwohner-Ortes Nachterstedt. Streit gebe es nicht. Kürzlich habe der Bergbausanierer Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV) für die einstigen "Am Ring"-Bewohner eine Weihnachtsfeier ausgerichtet. Die Entschädigungszahlungen seien zum Teil schon abgeschlossen, sagt Hampe. Was aus den rund zehn Doppel- und Einzelhäusern an der Abbruchkante wird, sei ungewiss. "Es gibt noch kein offizielles Sanierungskonzept", sagt Hampe. Zuerst müsse die Ursache des Erdrutsches geklärt werden.

Lothar Gareis, der selbst jahrzehntelang im Braunkohlebergwerk gearbeitet hat, will in seinem gemieteten Haus bleiben. "Das ist für mich wie ein Sechser im Lotto." Für 2010 wünscht er sich Gesundheit - und Glück, wie am 18. Juli, als er mit dem Leben davonkam.

dpa