Die Piratenpartei – Annäherung eines Skeptikers

Die Piratenpartei – Annäherung eines Skeptikers
Der Mensch hat seine Vorurteile. Ich auch. "Die sind doch völlig überschätzt", schleuderte ich in einer Mischung aus Anwiderung und Entsetzen meiner Chefin entgegen, als die mir vorschlug, ich solle doch einmal ein Treffen der Piratenpartei besuchen.
24.09.2009
Von Henrik Schmitz

0,9 Prozent haben die "Piraten" bei der Europawahl im Juni geholt. Weniger also als etwa Tierschutzpartei (1,1 Prozent) und Familienpartei (1,0 Prozent). Und nur knapp mehr als die Rentner-Partei (0,8 Prozent). Um es klar zu sagen: Die mediale Aufmerksamkeit, die die Piratenpartei erfahren hat, steht - zumindest am Ergebnis der Europawahl gemessen - in keinem Verhältnis zu ihrem Erfolg beim Wähler. Aber weil Piratenpartei Web 2.0 und Web 2.0 für viele Journalisten irgendwie cooler ist als nörgelnde Gebissträger, Familien mit Häuschen und Gartenzaun oder fundamentalistische Tierschützer, die der High Society die Pelze neiden, hagelt es in den Medien "Piratenpartei"-Artikel. An der Börse würde man das vielleicht eine Blase nennen. Man weiß nie, wann es plopp macht!

"Ich fürchte, wir erfüllen hier gerade alle Klischees"

Vor meinem ersten Besuch beim Stammtisch der Piratenpartei in Frankfurt am Main hatte ich mir ziemlich genau ausgemalt, was mich erwarten würde: Langhaarige Computer-Nerds mit Brille, schlecht sitzenden Jeans und viel zu langen T-Shirts. Ich wurde nicht enttäuscht. Frauen: Fehlanzeige. Selbstironisch merkte der anwesende Spitzenkandidat der hessischen Landesliste an: "Ich fürchte, wir erfüllen hier gerade alle Klischees."

Ein Klischee, zu dem auch gehört, dass so ziemlich jeder der Anwesenden in irgendeiner Form beruflich mit dem Web zu tun hatte. Da saßen ein Softwareentwickler, ein Softwareverkäufer und ein Ex-Junge-Union-Ex-FDP-Mitglied, der nach eigenen Angaben 2.500 Euro am Tag bekommt, wenn er einem Unternehmen erklärt, was man Schönes mit Twitter anstellen kann. Dazu noch Herbert, einst erster bekennender homosexueller Bundestagsabgeordneter (Grüne) und heute Blogger. Unter anderem. Kurz gefasst: Ein Geheimtipp für Single-Frauen, denen das Äußere nicht so wichtig ist und die jemanden brauchen, der ihnen Home-Kino und Internet zum Laufen bringt.

Ein Thema - aber mehr als Datenschutz

Und doch hat mich die Piratenpartei fasziniert. Denn im Frankfurter Club Voltaire, wo sonst Alt-68er, Feministinnen und Exterroristen Rotwein schlürfen und gemeinsam Josef Ackermann blöd finden, sitzen jeden Montag Menschen von morgen – und nicht von gestern. Die Piratenpartei ist eine klassische Ein-Themen-Partei. Aber das eine Thema ist nicht allein der Datenschutz. Die wichtige Frage also, ob der Stadt seine Bürger im Netz nach Belieben beobachten, überwachen und ausspähen darf.

Das Thema der Piraten ist, Regeln zu finden für eine Gesellschaft, deren Leben sich nicht in den Straßen und Gassen, sondern eher in Glasfasernetzen abspielt (nicht umsonst kleben die "Piraten" ihre Wahlplakate in Computerspielen wie Counter-Strike). Um diese Regeln zu definieren, muss man vorher zumindest einmal zur Kenntnis genommen haben, dass sich die Gesellschaft ändert. Von Abgeordneten, die einen Browser für eine Wellness-Dusche halten, ist hier in der Tat wenig zu erwarten.

[linkbox:nid=944;title=Diskussion in der Community]

Ich habe den Fehler gemacht, die Piratenpartei nicht ernst zu nehmen, und bin deshalb bei jedem Versuch, eine Diskussion anzufangen, gnadenlos untergegangen. Nur beim Thema Kinderpornografie leuchtet mir weiter nicht ein, warum man Internetsperren allein deshalb nicht einführen sollte, weil sie auch zu umgehen sind. Klar: Wer einen Menschen unbedingt töten will, wird es tun. Wer in ein Haus einbrechen will, findet einen Weg. Aber das bedeutet ja nun nicht unbedingt, dass man es den Menschen auch noch leicht machen muss. Immerhin konnte ich einen kleinen Punktsieg mit meinem Hinweis erlangen, dass die laschen Waffengesetze in den USA nicht unbedingt zu einer höheren Lebenserwartung im Land der unbegrenzten Möglichkeiten beitragen.

Vielleicht kaufe ich noch ein "ZENSURsula"-T-Shirt

Vielleicht bleiben die Piraten ein Phänomen, wenn die sogenannten etablierten Parteien die Piraten-Themen aufgreifen und glaubhaft umsetzen. Informationsfreiheit und Bürgerrechte sind schließlich auch liberale und grüne Themen. Wenn nicht, könnte es den Piraten wie einst den Grünen gelingen, mit einem Thema – heute Internet, einst Ökologie – Erfolge zu erzielen. Es wird dann weiteres wachsen müssen. Leidenschaftlich wurde zum Beispiel auch über das Thema bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert.

[linkbox:nid=2736;title=Wahlanalysen, die ins Ohr gehen]

Ich werde die Piraten nicht wählen. Aber ich gestehe, die Art, wie sich junge Menschen für ein Thema begeistern und engagieren, ohne dadurch zunächst einen persönlichen materiellen Gewinn zu haben, hat mich begeistert. Ich schaue nun häufiger im Club Voltaire vorbei. Und vielleicht kaufe ich mir auch noch eines der T-Shirts, das die Piraten mit Vorliebe tragen: Es ziert auf schwarzem Grund das Bild von Familienministerin Ursula von der Leyen, die die Piraten aufgrund ihres positiven Verhältnisses zu Internetsperren gerne auch "ZENSURsula" nennen. Ich selbst habe nichts gegen Frau von der Leyen. Aber das Shirt würde wirklich prima zu meiner Kollektion mit Uschi Glas und Jutta Speidel passen.