Informelles Volksbegehren. Preise für einen Helden

Informelles Volksbegehren. Preise für einen Helden
Dominik B., der Held von Solln, ist längst kein privater Held mehr, sondern auch ein Medienheld. Wie die Medien von seinem Schicksal berichten ist zum Teil fragwürdig.
21.09.2009
Katrin Schuster, epd medien

Es ist ein Blick in den Abgrund der Zivilisation: Zwei Jugendliche haben einen 50-jährigen Mann erschlagen, weil er sich ihnen als Autorität in den Weg gestellt und damit ihre ziellose Wut auf sich gelenkt hatte. Während in der Bevölkerung und der Politik erst einmal weitgehend Schockstarre und Hilflosigkeit - nichts anderes bedeutet der Ruf nach einer Verschärfung des Strafrechts - herrschte, traten die Medien auf den Plan, um den unüberhörbaren Ruf danach, etwas zu tun, aufzufangen.

Allen voran initiierte "Bild" ein sozusagen informelles Volksbegehren, das zum Ziel hat, dem Opfer der Gewalttat posthum das Bundesverdienstkreuz zu verleihen: "ER DARF NICHT UMSONST GESTORBEN SEIN", lautet die Begründung. Schon in den ersten Stunden setzten mehr als 10.000 Menschen ihren Namen unter dieses Begehr, am Donnerstagabend waren es nach Angaben von "Bild" bereits 53.000. Am Mittwochabend gab die TV-Sendung "Aktenzeichen - XY ungelöst" bekannt, man werde den Münchner Manager posthum mit dem "XY Ehrenpreis" für Zivilcourage auszeichnen, und auch das bayerische Kabinett beschloss, dem Verstorbenen posthum den Bayerischen Verdienstorden zu verleihen: multiple Markierungen eines Toten.

So allein das Opfer auf dem Sollner Bahnsteig gelassen wurde, so wird es nun nach seinem Tod überschwemmt mit Ehrbekundungen. Der Mann gehört nun der gesamten Öffentlichkeit. Er ist kein privater Held mehr, sondern ein Medienheld. Bald war überall sein Klarname zu lesen, bereits Mittwochmittag wurde der Wikipedia-Artikel "Dominik Brunner" angelegt. Es ist das übliche Paradox von Pietät und symbolischer Solidarität: Man will sich äußern, doch bleibt einem angesichts einer solchen Tat nichts übrig außer Gesten und Worten, die sich schließlich nurmehr gegenseitig zitieren und potenzieren, da sie nicht aufhören (können), um die unbegreifliche Leerstelle zu kreisen.

So wird die Tatsache, dass ein Einzelner anderen zur Seite steht, wenn ihnen Gefahr droht, mehr und mehr als Ausnahme etabliert, als Sonderfall - sonst hätte er die sonst so schnelllebige und zerstreute Aufmerksamkeit von Fernsehen, Zeitungen und Internet schließlich gar nicht erst verdient. Brunner ist jetzt eben kein Mensch mehr wie du und ich, sondern eine Ikone der Zivilcourage, dem so viel gleichsam religiöses Andenken zuteilwird, dass ein Nacheifern bald von vorneherein unmöglich erscheinen könnte.

Dazu passt, dass in diesem Fall erstmals - zumindest in dieser Deutlichkeit - die Stimmen derjenigen zugelassen sind, welche angesichts der eigentlich nur sich selbst zu stellenden, gleichsam intimen Gewissensfrage "Was hätte ich getan?" öffentlich bekunden, keine eindeutige Antwort darauf zu wissen. Angefangen bei "Bild"-Kolumnist Franz Josef Wagner - freilich mit dem Pathos der Beichte - und einigen Politikern sowie anderen Prominenten. Wenn die sich schon nicht sicher sind, ob sie eingreifen oder weglaufen würden, wieso sollte ich Normalbürger mir denn dann sicher sein? Dass man sich nun als Hilfeunterlasser outen darf, ohne auf Kritik zu stoßen - schon wurden entsprechende Onlineumfragen gestartet -, kann man also durchaus bedenklich finden. Andererseits entsteht dadurch eine Plattform für verbreitete Ängste, die unbedingt ernst zu nehmen wären. Wenn das nur einer täte!

Zu rechnen ist damit nämlich nicht: Die Hoffnung, dass die Solidaritätserklärungen deshalb so laut und eifrig sind, weil sich wenigstens ein paar Journalisten über ihre ethische und moralische Integrität Gedanken gemacht haben, ist vermutlich vergeblich. Mit der lüsternen Berichterstattung über allerlei Gewalttaten verdienen "Bild" und "Aktenzeichen - XY ungelöst" schließlich einen Gutteil ihres täglichen Brots respektive ihrer Quoten. Weshalb ihnen auch gleichgültig zu sein scheint, dass sie damit - wie nicht wenige Studien behaupten - die gefühlte Gefährdung in der Bevölkerung steigern, auf deren Eingreifen folglich immer weniger zu bauen sein wird. Da klingt das "ER DARF NICHT UMSONST GESTORBEN SEIN" doch gleich ganz anders in den Ohren.

 

Der Text von Katrin Schuster ist in der Ausgabe 74/09 des Fachmagazins "epd medien" erschienen.