Filmkritik: "Enemy"

Capelight Pictures
Filmkritik: "Enemy"
Zwei sind einer zuviel: Jake Gyllenhaal in einem faszinierendem Doppelgänger-Thriller um Identität, Erotik und Macht.
21.05.2014
epd
Patrick Seyboth

Der kanadische Regisseur Denis Villeneuve führt den Zuschauer mit "Enemy" tief in ein Labyrinth aus Andeutungen, Symbolen und Mehrdeutigkeiten. Schon seine Werke "Incendies" (Die Frau, die singt) von 2010 und der erst nach Enemy entstandene, aber vor ihm gestartete "Prisoners" (2013) waren komplex konstruiert, doch dort brachte Villeneuve am Ende Licht ins Dunkel. Bei Enemy jedoch greift er die bizarre Rätselhaftigkeit seines Frühwerks "Maelström" wieder auf und lässt den Zuschauer zum Schluss geradewegs gegen eine Wand seines Labyrinths laufen. Das macht den Film so ungemütlich wie faszinierend und reizt zum mehrmaligen Sehen.

Bereits in den ersten Szenen seiner klaustrophoben Doppelgängergeschichte etabliert Villeneuve die Tonlage von Beklemmung und drohendem Unheil: Ein schwerer Himmel hängt da über einem unwirtlichen Toronto, das im Smog zu ersticken scheint. In einer Art geheimem Club sitzt ein Kreis von Männern um eine Bühne, auf der Frauen ihre Körper präsentieren und bald eine Vogelspinne ins finster-frivole Ritual einbeziehen. Einer der Gäste ist Adam, gespielt von Jake Gyllenhaal. Ebenfalls ritualisiert, doch weit langweiliger, erscheint auch der Alltag des Geschichtsprofessors. Schlafwandlerisch bewegt er sich durch eine Abfolge von Vorlesungen und öden Abenden, an denen er zuhause einfach weiterarbeitet oder aggressiven Sex mit seiner Freundin Mary (Mélanie Laurent) hat, mit der ihn nur wenig zu verbinden scheint. Eine leere Existenz in einem sterilen, fast unbewohnt wirkenden Appartement und eine sprachlose, bedrückende Paarbeziehung. Kein Zweifel: Adam fehlt etwas.

In einer irritierenden zeitlichen Verschiebung inszeniert Villeneuve die Entdeckung des Doppelgängers. Denn als Adam eines Abends noch eine DVD auf seinem Laptop schaut, fällt ihm zunächst nichts Ungewöhnliches auf. Erst im Traum kehrt er zu einer Szene des Films zurück und bemerkt, dass der Darsteller eines Hotelpagen ihm gleicht wie sein Spiegelbild – eine grinsende Figur am Rande eines Bildausschnitts. Mit diesem Moment des Erkennens entsteht eine fatale Obsession. Adam recherchiert über den Kleindarsteller, er beginnt ihn zu observieren und ruft ihn schließlich an, um ihm Auge in Auge gegenüberzutreten. Der eitle, selbstbewusste Schauspieler will erst nichts von ihm wissen. Erst über eine Intervention seiner Frau entspinnt sich der Reigen um Identität, Erotik und Macht, der manche Überraschungen birgt, obwohl das Ende gemäß den Regeln des Doppelgängerspiels nur lauten kann: Zwei sind einer zuviel.

Woher kommt Adams sofortige Panik?

Zunächst einmal ist da nur einer, der ihm verblüffend ähnelt, also durchaus ein Grund für Neugier, auch Irritation, doch unmittelbare Existenzangst? Die heftige Reaktion Adams auf den ersten Anblick des Anderen ist schwer nachvollziehbar, was der Dramaturgie des Films phasenweise Unwucht verleiht. Leider versäumt es Enemy, die Gefühlslagen seiner Hauptfiguren schlüssig zu entwickeln und verspielt so einen beträchtlichen Teil seines Potenzials. Zwar ist Villeneuve in ästhetischer Hinsicht ein brillantes Werk gelungen – mit bizarren Bildern erzeugt der Regisseur eine hochartifizielle Atmosphäre, in der das Irreale immer nur einen Schritt entfernt scheint –, doch gelingt es ihm nicht, über die atmosphärisch-ästhetische und intellektuelle Spannung hinaus auch emotional mitzureißen. Das ist umso bedauerlicher, da Denis Villeneuve ein ganz und gar überzeugendes Ensemble versammelt und selbst doch hinlänglich bewiesen hat, wie subtil er auf der Klaviatur der Zuschauergefühle spielen kann.

Kanada, Spanien 2013. Regie: Denis Villeneuve. Buch: Javier Gullón, José Saramago. Mit: Jake Gyllenhaal, Mélanie Laurent, Sarah Gadon, Isabella Rossellini. Länge: 90 Minuten. FSK: ab 12 Jahre, ff.