Filmkritik der Woche: "Dein Weg"

Foto: epd-bild / Koch Media
Martin Sheen als Tom Avery auf dem Jakobsweg.
Filmkritik der Woche: "Dein Weg"
Keine Klerikalkomödie: In einem sympathisch-sensible Familienprojekt pilgert Martin Sheen unter der Regie von Sohnemann Emilio Estevez über den Jakobsweg.
20.06.2012
epd
Frank Schnelle

"The Way" lautet der lakonische Originaltitel und er bezeichnet unter englischsprachigen Pilgern jene rund achthundert Kilometer zwischen den französischen Pyrenäen und dem spanischen Santiago de Compostela, die bei uns als Jakobsweg bekannt sind. Vor wenigen Jahrzehnten noch schritten allenfalls ein paar Dutzend Unentwegte pro Jahr die Strecke ab, heutzutage ist der "Way" dagegen ein Trampelpfad, beinah schon popkultureller Mainstream. Das leicht gefühlige "Dein Weg" des deutschen Verleihtitels ist trotzdem keine schlechte Entscheidung: Es verschiebt den Akzent vom Geografischen zum Erzählerischen und betont, dass hier einer den Weg eines anderen gehen muss, um seinen eigenen Weg zu finden.

Tom Avery (Martin Sheen) gehört zu jenen Menschen, die sich ganz bewusst für den Mittelweg entschieden haben. Kaum jünger als die Senioren, die bei ihm den Führerscheinsehtest absolvieren, genießt der kalifornische Augenarzt einen gänzlich unaufgeregten Lebensabend. Wäre da nicht die eine oder andere Dissonanz zwischen ihm und seinem Sohn Daniel (Emilio Estevez), Tom würde sich zweifellos als rundum zufriedenen Mann bezeichnen.

Dass er sich nur wenige Tage später auf den langen Marsch quer durch Nordspanien machen wird, ist da noch undenkbar. Aber dann erfährt Tom, dass Daniel bei einem Sturm ums Leben gekommen ist - gleich am ersten Tag seiner Wanderung entlang des Jakobswegs. Tom fliegt nach Europa, um sein einziges Kind nach Hause zu holen. Vor Ort jedoch, überwältigt von Trauer und Erinnerung, trifft er eine spontane Entscheidung: Er wird Daniels Reise fortsetzen, als Stellvertreter sozusagen, und sich dabei auf die Suche machen - nach Erklärungen, nach Nähe zum entfremdeten Sohn, nach einer Welt, für die er sich nie zuvor interessiert hat.

Eine Vater-Sohn-Geschichte also, und das gleich in mehrfachem Sinne. Wenn Toms Blick zunächst in Rückblenden, später in kurzen imaginären Begegnungen entlang des "Camino" immer wieder auf Daniel ruht, dann schaut auch der Schauspieler Martin Sheen auf seinen Sohn Emilio Estevez, der hier zugleich sein Regisseur, Autor und Produzent ist. Und Estevez inszeniert seinen Vater, einen strenggläubigen Katholiken, der als Initiator und Star des Projekts fungiert. Die Sheen-Familie stammt ursprünglich aus Spanien. Der Film ist Sheens Vater gewidmet, der in einer Stadt unweit des Jakobswegs aufwuchs.

Frei von Spektakel und Spekulativem

Hier fließt also von der ersten bis zur letzten Minute jede Menge Herzblut, und dabei ist sich der Film im besten Sinne selbst genug: Estevez' Inszenierung ist bewusst schlicht und geradezu offensiv altmodisch, sein Drehbuch frei von Spektakel und Spekulativem. Er biedert sich weder inhaltlich noch formal an, sondern geht, nun ja, konsequent seinen eigenen Weg.

Es geht um einen grumpy old man, der über die Trauerarbeit zur Sinnsuche kommt und dabei von einer allmählich wachsenden Gruppe von Wallfahrern begleitet wird. Sheen glänzt mit seinem reduzierten Spiel, das ganz auf störrische Präsenz setzt und gleichzeitig von erstaunlicher Vitalität ist. Seine Begegnungen entlang des Wegs sind zwar nicht frei von Klischees und Redundanzen, fühlen sich aber entspannt und aufrichtig an. Von der "Klerikalkomödie" jedenfalls, die sich laut Hape Kerkelings Bestseller auf dem Jakobsweg abspielt, ist er meilenweit entfernt.

R: Emilio Estevez. B: Jack Hitt. Da: Martin Sheen, Emilio Estevez, Deborah Kara Unger, Yorik van Wageningen, James Nesbitt. L: 123 Min. FSK: o.A., Start: 21.06.2012