Über die Weite der Gottesgegenwart zu Pfingsten

epd-bild/Rainer Oettel
Deckenmalerei mit Pfingstmotiv im Schirmgewölbe über dem Altar in der Evangelischen Kirche Halsbrücke.
Über die Weite der Gottesgegenwart zu Pfingsten
Viel ist in dieser sich aufgeklärt wähnenden Welt von einer Sehnsucht nach Spiritualität die Rede. Für Christinnen und Christen ist Pfingsten die Antwort auf diese Sehnsucht, schreibt Thies Gundlach, Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD, in einem Gastbeitrag für evangelisch.de.

Pfingsten erzählt eine der schönsten Befreiungsgeschichten des christlichen Glaubens. Denn mit Pfingsten tritt Gott endgültig ein in seinen inneren Reichtum und seine Dynamik, er wird erkennbar als Trinität, als Vater, Sohn und Heiliger Geist; und der Mensch wird befreit aus den Fesseln von Ort und Zeit, weil der dreieinige Gott seit Pfingsten jederzeit, überall und immer unmittelbar begegnen kann. Mit dem Pfingstfest feiern die Christen Gott offenbare Vollendung und des Menschen neue Freiheit vor Gott.  Und das kommt so:

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An Weihnachten feiern wir die Menschwerdung Gottes in der Geburt eines Kindes. In Jesus aus Nazareth kehrt Gott ein bei dem ganz realen Volk der Juden, zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt ("als Quirinius Statthalter in Syrien war...") und bei einer ganz speziellen Familie ("Da machten sich auch auf Maria und Josef..."); Karfreitag und Ostern begegnen uns Leiden und Sterben dieses Menschen und staunen über die unerhörte Kraft Gottes, der dem Tod auch in dieser Welt nicht das letzte Wort überlässt.  Es folgen diese wunderbaren, erstaunlichen, verwandelnden Ostererfahrungen in der Begegnung mit dem Auferstandenen; sie  sind der Anfang allen christlichen Glaubens, ohne die konkreten Ostererfahrungen der Jüngerinnen und Jünger gäbe es keinen christlichen Glauben.

Aber diese Erfahrungen sind räumlich und zeitlich begrenzt, sie geschehen in Galiläa und Jerusalem, sie geschehen auf dem Weg nach Emmaus oder an anderen Orten. Und sie hören dann auf, der Auferstandene entzieht sich der unmittelbaren Begegnung,  die ersten Jünger/innen lernten das zu verstehen als Christi Himmelfahrt, als Heimkehr des Gesandten in sein Reich zur Rechten des Vaters. Gott rief seinen Sohn zurück, er kehrte – wie die Alten erzählten - unter dem Jubel aller Engel, Fürstentümer und Gewalten heim in den Himmel.  Doch waren die Menschen die Menschen jetzt gleichsam von allen guten Geistern verlassen? Hatte Christus sie einfach allein zurückgelassen?

Gott kommt zu jedem

Nein, natürlich nicht, und eben dies feiern die Christen mit dem Pfingstfest. Die Menschen auf Erden bleiben nicht allein zurück, sondern Gott kommt zu jedem von ihnen, die an Christus glauben, die seinen Tod bekennen und seine Auferstehung feiern. Gott sendet seinen guten und heilenden, tröstenden und verwandelnden Geist, eben seinen Heiligen Geist, der nun jeden Menschen überall auf der Welt zu allen Zeiten berühren kann. Niemand muss nach Jerusalem fahren, um dem Auferstandenen zu begegnen, niemand muss bestimmte Zeiten oder festgelegte Orte aufsuchen, um Gottes Trost zu spüren. Gott hat Christus in den Himmel zurückgerufen, damit der Mensch seine Gegenwart überall erfahren kann, - auch in Singapur, Island oder Honduras. Christus geht mit der Himmelfahrt Judäa und Galiläa hinaus, damit alle Menschen überall durch den Heiligen Geist zum Vater kommen können.

Seit Pfingsten wissen die Glaubenden also, dass Gott seinen Geist nicht gebunden hat an einen Ort, eine Zeit, eine Institution, sondern an seinen freien Willen zur Barmherzigkeit. Seit Pfingsten ist jeder Mensch gleichunmittelbar zu Gott, gleich wo er wohnt, wie er lebt und wo er arbeitet. Gott macht keine Standesunterschiede, die Heilsgeschichte wird gleichsam demokratisiert und damit jedem zugänglich.

Und eben dies erzählt die Pfingstgeschichte mit einem wunderbaren Bild: Die Unheilsgeschichte der Menschen begann mit dem Turmbau zu Babel und der Selbstüberhöhung, einen Turm bis zum Himmel bauen zu wollen, also selbst den Himmel zu erobern. Da führte zum Bauabbruch und zur Turmruine,  zur Sprachverwirrung und zum Nichtverstehen untereinander (1. Buch Mose 11).

Pfingsten ist die Antwort auf die Sehnsucht nach Spiritualität

Die Pfingstgeschichte aber endet in einer nie gekannten Sprachvielfalt. Die vom Geist erfüllten Jünger fingen an zu predigen von den großen Taten Gottes, aber nicht in einer Einheitssprache, einem geistlichen Esperanto, sondern in allen Sprachen der damals bekannten Welt. Jeder und jede hörte von Gottes Befreiungstaten in seiner und ihrer Sprache. Die Sprachverwirrung wird Pfingsten nicht einfach umgekehrt und zurückgenommen, sondern erlöst und geläutert. Auch die Christen sollen nicht alle eine Sprache sprechen, sondern jeder soll seine Sprache hören und sprechen. 

Pfingsten ist so gesehen das Fest der geistlichen Weite, die Vielfalt und Unterschiedlichkeit im christlichen Glauben. Vielfalt ist keine Erfindung des Menschen, der seinem Eigensinn folgt, sondern Vielfalt ist eine Erfindung des Heiligen Geistes. Pfingsten steht so für eine geistliche Urerfahrung, dieses unergründliche Staunen darüber, dass Gott  jeden Menschen unmittelbar berühren und verwandeln will, dass er sich Zeit nimmt für jeden Menschen und ihn in seiner und ihrer Sprache ansprechen will.

Viel ist in dieser sich aufgeklärt wähnenden  Welt von einer Sehnsucht nach Spiritualität die Rede. Für Christinnen und Christen ist Pfingsten die Antwort auf diese Sehnsucht. Pfingsten zeigt uns, dass Gott sich jedem Menschen zuwenden kann. Gott kommt zu jedem Menschen, er schenkt seinen Geist, er will verwandeln, will ihnen gleichsam eine individuelle Antenne geben, einen persönlichen sechsten Sinn, mit dem sie ihn hören und seine Weisungen empfangen können. Eine befreiende, ermutigende Botschaft für eine moderne Welt, die den einzelnen oftmals gar nicht mehr wahrnimmt. Gott kann überall, jederzeit und zu jedem einzelnen kommen - mit seinem Heiligen Geist, denn "der Geist weht, wo er will" (Joh. 3, 8).