Filmkritik: "Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit"

dpa/Piffl Medien GmbH
Eddie Marsan spielt John May in "Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit".
Filmkritik: "Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit"
Was wirklich wichtig ist: Vor Jahren produzierte Uberto Pasolini die kämpferische Feel-good-Komödie "Ganz oder gar nicht". Nun legt er mit "Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit" eine gelassene Tragikomödie über Tod und Einsamkeit vor.
03.09.2014
epd
Sascha Westphal

Ein Leben, aus dem anscheinend irgendwann alle Farben entschwunden sind. Geblieben sind der graue Himmel und die Straßen im Londoner Süden, das graue Büro in der Bezirksverwaltung und die nicht weniger graue Wohnung in einem dieser tristen englischen Wohnblöcke. Aber all das berührt den Beamten John May nicht weiter. Er geht ganz und gar in seiner Arbeit auf. Ein eigenes Leben hat der von Eddie Marsan gespielte Beamte in dem Film "Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit" nicht. Fast scheint es, als läge ihm daran auch gar nichts.

Mr. May lebt für andere. Alles, was er macht, steht im Dienste jener, die sein Mitgefühl  und seine Beharrlichkeit wirklich brauchen und doch nie etwas von ihm und seinen Bemühungen erfahren werden. John Mays Aufgabe ist es, im Namen der Londoner Behörden die Angelegenheiten all der Menschen zu regeln, die alleine gestorben sind. May sucht nach Angehörigen, arbeitet sich durch die Hinterlassenschaften, organisiert Begräbnisse und schreibt die Grabreden für den Priester, denen er meist als einziger Trauergast lauscht.

Bei Travis Bickle in Martin Scorseses "Taxi Driver" hatte die unerträgliche Einsamkeit eine höhere, eine göttliche Dimension bekommen. In Uberto Pasolinis wundervoll gelassener Tragikomödie hingegen empfindet Mr. May sein Alleinsein nicht als ein Schicksal, gegen das er sich auflehnen muss. Aus seiner Einsamkeit erwächst vielmehr ein tiefes Verständnis für die Vergessenen unserer Tage, die Deklassierten und an den Rand Gedrängten. Mr. May kämpft um ihre Würde und will ihnen im Tod das zurückgeben, was ihnen zuvor im Leben genommen wurde.

Nur passt seine Sorgfalt nicht mehr in eine Zeit, in der sich alles um Effektivität dreht. Also wird John May entlassen. Zuvor darf er aber noch einen letzten Fall bearbeiten. Für Billy Stoke, dessen Leiche in einer Wohnung in Mr. Mays Nachbarschaft gefunden wurde, begibt er sich auf eine kleine Odyssee, die auch eine Reise durch die jüngere Zeitgeschichte ist.

Möglichst wenig auffallen

Nur die Umstände, unter denen Mr. May entlassen wird, verweisen unmissverständlich auf die gesellschaftlichen Verhältnisse im heutigen England. Ansonsten verzichtet Pasolini auf jeden allzu offensichtlichen Kommentar. Sein Blick auf die Verlierer der vergangenen 40 Jahre hat genauso wie Mr. Mays Haltung nichts Nostalgisches oder Verklärendes. Uberto Pasolini begehrt nicht offen gegen die Verhältnisse auf. Aber er klagt sie an, leise, ruhig und insistierend.

Eddie Marsan nimmt sich in der Rolle des unangepassten Beamten, der sich nur seinem Kodex und nicht den wechselnden Normen der Gesellschaft verpflichtet fühlt, ganz zurück. Mit seinen unauffälligen dunklen Anzügen und seiner immer etwas gebückten Haltung wirkt es fast so, als wolle dieser Mr. May möglichst wenig auffallen. Aber gerade dieser Habitus des nahezu Unsichtbaren hat etwas Widerständiges. In einer Gesellschaft, die sich in Äußerlichkeiten und im Materiellen verliert, stehen der extrem konzentriert spielende Eddie Marsan und der unauffällige Mr. May für ein anderes Ethos. Sie erinnern einen daran, was wirklich wichtig ist.

GB/I 2013. Regie und Buch: Uberto Pasolini. Mit: Eddie Marsan, Joanne Froggatt, Karen Drury, Andrew Buchan, Neil D`Souza, David Shaw Parker, Michael Elkin. Muafaq Rushdie. Länge: 92 Minuten. FSK: ab12 Jahren. FBW: Besonders wertvoll.