Pfarrermangel: Bleibt die Kanzel künftig leer?

Pfarrermangel: Bleibt die Kanzel künftig leer?
Was in der Wirtschaft der Fachkräftemangel ist, droht auch den evangelischen Landeskirchen in Deutschland: Es gibt immer weniger Pfarrer. Die Angst vor leeren Kanzeln und Pfarrhäusern ab 2020 ist nicht ganz unbegründet.
16.08.2011
Von K. Rüdiger Durth

"Es könnte ab 2017 knapp werden", sagt der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung. Und fügt sofort hinzu: "Aber wohl nicht dramatisch." Doch letzteres sehen viele anders. Ab 2020 droht der evangelischen Kirche ein akuter Pfarrermangel. Dann nämlich wird eine große Pensionierungswelle ihren Höhepunkt erreichen. Und wer jetzt mit dem Ziel evangelischer Pfarrer zu werden, an einer Universität sein Studium der Evangelischen Theologie beginnt - im Wintersemester 2010/11 waren es 1.105 -, wird dann ein gefragter Mann beziehungsweise eine gefragte Frau sein. Denn das Theologiestudium dauert mit 1. Theologischer Prüfung, Vikariat, 2. Theologischer Prüfung und Probedienst rund zehn Jahre. Mindestens.

Der "schönste Beruf, den es gibt", so Bayerns scheidender Landesbischof Johannes Friedrich, ist vielfachen Gefahren ausgesetzt: Der demografische Wandel wirkt sich selbstverständlich auch auf die Zahl der jungen Menschen aus, die das Pfarramt anstreben. Bis 2030 wird laut kirchlicher Prognosen die Zahl der Kirchenmitglieder um ein Drittel und die Einnahme aus der Kirchensteuer um bis zu 50 Prozent sinken. Allerdings wird man dann auch weniger Pfarrer benötigen und bezahlen können. Aber das Interesse junger Menschen am Studium der Theologie, das nicht nur wegen der drei alten Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch als ein schweres Studium gibt, sinkt – auch wenn in letzter Zeit ein leichter Anstieg zu verzeichnen ist.

Viele wandern in die Wirtschaft ab

Für die nächsten Jahre haben die meisten Landeskirchen schon aus finanziellen Gründen restriktive Maßnahmen für die Neubesetzung von Pfarrstellen vorgesehen. Viele Pfarrer, die in den zurückliegenden Jahren keine kirchliche Anstellung fanden, sind in die Wirtschaft abgewandert, wo sie durchaus gute berufliche Chancen vorgefunden haben. Sie bleiben der Kirche als "Pfarrer im Ehrenamt" erhalten. Allein aus der rheinischen Landeskirche haben 25 eine Pfarrstelle in der Schweiz gefunden. Doch die ersten kehren bereits zurück. Wie viele Pfarrer im Ehrenamt im kommenden Jahrzehnt ihren Arbeitsplatz in der Wirtschaft mit einem dann freien in der Kirche tauschen, ist unbekannt.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zählt gegenwärtig 21.488 Pfarrer, von denen 18.576 eine volle oder halbe Planstelle innehaben. 14.040 sind in den Kirchengemeinden tätig, 2.364 beurlaubt, freigestellt, abgeordnet oder im Wartestand. Das Problem ist die Zeit ab 2020. Und diese liegt für verantwortliche Personalplaner keineswegs in weiter Ferne. Also sagt Kirchenpräsident Jung: "Wir sorgen vor, indem wir zurzeit mehr Pfarrer einstellen, als wir benötigen." Außerdem wird bei interessierten Schülern die Informationsarbeit über das Studium der Theologie und die anschließenden beruflichen Möglichkeiten intensiviert. Jung: "Der Pfarrberuf ist ein anspruchsvoller, aber auch schöner und erfüllender Beruf mit einer guten Zukunftsperspektive."

Die Evangelische Kirche im Rheinland hat den Kirchenkreisen ein größeres Mitspracherecht bei der Besetzung von Gemeindepfarrstellen eingeräumt. Damit soll eine größtmögliche qualitative Versorgung bei weniger Gemeindegliedern und –pfarrstellen sichergestellt werden. Doch selbst dafür wird auf Dauer die gegenwärtige Zahl von 160 Theologiestudierenden nicht ausreichen. Die oldenburgische Landeskirche hat bereits einen Pfarrer halbtags beauftragt, unter jungen Menschen für das Theologiestudium zu werben.

Warnung vor falschem Alarm

Oberkirchenrat Joachim Ochel, im Kirchenamt der EKD für das Theologiestudium verantwortlich, warnt vor falschem Alarm. Allerdings räumt auch er ein, dass es nach 2020 mit den Pfarrern knapp werden kann – zumal die Kirche auch auf einen guten Altersmix zwischen den Generationen angewiesen ist. Für Ochel sind es weniger die alten Sprachen - zumal Latein an vielen Gymnasien wieder ein gefragtes Fach sei - und die unter jungen Menschen nicht gerade aktuelle Gottesfrage, die ein Theologiestudium wenig attraktiv machen. Vielmehr spiele die Frage eine große Rolle, ob man sich mit der Institution Kirche identifizieren könne.

Die katholische Kirche klagt seit vielen Jahren unter einem extremen Priestermangel. Viele machen dafür den Zölibat und das Nein zur Priesterweihe von Frauen verantwortlich. Wenn das stimmt, müsste eigentlich die gleich große evangelische Kirche keinen Mangel an Theologen haben. Ochel hält freilich von solchen Vergleichen nicht viel, gibt allerdings zu bedenken: "Was wären wir ohne die Gleichstellung der Frauen im Pfarramt. Heute studieren schon 50 und mehr Frauen evangelische Theologie." Im Rheinland sind es von 160 Theologiestudierenden bereits 60 Prozent Frauen (2010).

Eine EKD-Umfrage unter den Evangelisch-Theologischen Fakultäten vom Wintersemester 2010/11 zeigt: Insgesamt studierten im zurückliegenden Wintersemester 14.629 junge Menschen evangelische Theologie. Davon aber nur 5.028 mit dem Berufsziel Pfarramt (Erstsemester: 1.05 l ). 6 119 wollen Religionslehrer werden. Der Rest verteilt sich auf andere theologische Studiengänge wie Bachelor, Master und Sonderstudiengänge sowie 560 Promovenden.

Ohne Universitätsstudium geht gar nichts

Sollte es in einem Jahrzehnt tatsächlich zu einem großen Pfarrermangel kommen, hätte die evangelische Kirche noch eine "Reserve" bei freien Theologischen Hochschulen der Evangelikalen, etwa in Basel oder Gießen. Doch dem erteilt Oberkirchenrat Ochel eine klare Absage: "Der Weg ins Pfarramt führt auch in Zukunft über ein Universitätsstudium." Gleiches gilt auch für die in vielen Landeskirchen tätigen Prädikanten, also Laienprediger, die zum Teil – wie im Rheinland – ordiniert werden. Auch ihnen bleibe das hauptamtliche Pfarramt verschlossen, sagt Ochel. Der Münchener Theologieprofessor Graf ist ohnehin der Überzeugung, dass die besten Abiturienten Theologie studieren sollten, um das hohe wissenschaftliche Niveau des evangelischen Pfarrhauses zu erhalten.

Im Kirchenamt der EKD sieht man keine Gefahr für die Theologischen Fakultäten an den Universitäten, auch wenn einige mit stark gesunkenen Studierendenzahlen zu kämpfen haben. So hat inzwischen (2010/11) die Evangelisch-Theologische Fakultät Bonn nur noch 221 Theologiestudierende, davon 90 für das Pfarramt, und ist damit die kleinste unter allen anderen Evangelisch-Theologischen Fakultäten. Nur noch die Kirchlichen Hochschulen Neuendettelsau (203) und Wuppertal/Bethel (206) haben weniger. Die meisten Studierenden hat mit 1.024 (davon 563 Pfarramt) die Berliner Humboldt-Universität.


K. Rüdiger Durth arbeitet als Journalist in Bonn und Berlin und schreibt regelmäßig für evangelisch.de.