Wehrpflicht und "Zivi" zu Ende - ab morgen alles freiwillig

Wehrpflicht und "Zivi" zu Ende - ab morgen alles freiwillig
Mehr als acht Millionen Wehrpflichtige haben in den vergangenen 54 Jahren ihren Dienst bei der Bundeswehr absolviert. An diesem Donnerstag verlassen die letzten Wehrdienstleistenden die Kasernen. Von Freitag an ist die Bundeswehr eine reine Freiwilligenarmee. Mit dem zuletzt noch sechsmonatigen Wehrdienst endet auch der Zivildienst. Ersetzt werden sie durch militärische und zivile Freiwilligendienste.

Die Wehrpflicht hat in Deutschland eine rund 200-jährige Geschichte, wenn auch mit Unterbrechungen. Ihr Ursprung liegt in den Freiheitskriegen gegen Napoleon Anfang des 19. Jahrhunderts. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde sie dem unterlegenen Deutschen Reich im Versailler Vertrag von den Siegermächten verboten. 1935 führten die Nationalsozialisten sie wieder ein.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs dauerte es zwölf Jahre, bis die Bundeswehr zur Wehrpflichtarmee wurde: Im Juli 1956 wurde nach heftiger Debatte das Wehrpflichtgesetz beschlossen, am 1. April 1957 rückten die ersten 10 000 Wehrpflichtigen in die Kasernen ein. Die DDR mit ihrer Nationalen Volksarmee (NVA) zog 1962 nach dem Mauerbau nach. Insgesamt leisteten 8,4 Millionen Männer den Pflichtdienst in der Bundeswehr.

Die Wehrpflicht wird ausgesetzt, weil sie sicherheitspolitisch und militärisch nicht mehr begründbar ist. Nach dem Ende des Kalten Krieges verlor sie immer mehr an Legitimation. Im vergangenen Jahr wurden nur noch 17 Prozent der jungen Männer eingezogen. Faktisch musste niemand mehr gegen seinen Willen zur Bundeswehr. Hinzu kam, dass die Dienstzeit so verkürzt wurde, dass eine sinnvolle Ausbildung kaum mehr möglich war. Zuletzt dauerte der Wehrdienst sechs Monate.

"Völlige Veränderung des Charakters der Bundeswehr"

Als Ersatz für die Wehrpflicht gibt es einen freiwilligen Wehrdienst, der bis zu 23 Monate dauert und bis zu 15.000 Männern und Frauen offen steht. Nach den Vorstellungen von Verteidigungsminister Thomas de Maizière sollen mindestens 5000 freiwillig Wehrdienstleistende der Bundeswehr angehören. Für dieses Jahr hat er das Ziel bereits erreicht. Während Wehrdienstleistende bisher nur 378 Euro im Monat verdienen, werden es ab 1. Juli 777 bis 1146 Euro sein.

Der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus sprach von einer "völligen Veränderung des Charakters der Bundeswehr". Niemand müsse sich mehr zwangsläufig mit der Truppe befassen. Mit den Bewerberzahlen zeigte sich Königshaus dennoch vorerst zufrieden. "Wir sehen, dass die ursprünglichen pessimistischen Annahmen in dieser gravierenden Form offenbar nicht Realität geworden sind", sagte er. "Man kann sich jetzt aber nicht zurücklehnen und sagen, das wird schon. Sondern man muss schon sehen, dass man mehr Attraktivität schafft."

Königshaus: keine "Unterschichtenarmee"

Königshaus hat eine Reihe von Attraktivitätsmaßnahmen angeregt, um die Zukunft der Bundeswehr als Freiwilligenarmee zu sichern. In einem Interview der Nachrichtenagentur dpa sprach er sich unter anderem dafür aus, den Soldaten durch ein neues Stationierungskonzept häufige Standortwechsel zu ersparen. Auch Unterbringung und Versorgung in den Kasernen müssten verbessert und finanzielle Anreize gesetzt werden.

Die Gefahr einer Entwicklung der Bundeswehr zu einer "Unterschichtenarmee" nach dem Aussetzen der Wehrpflicht sieht Königshaus nicht. "Wir haben zurzeit die am besten gebildete und ausgebildete Armee der Welt", sagte er. Fast alle Offiziere hätten studiert, fast alle Feldwebel einen Meisterbrief oder eine entsprechende Qualifikation. Die Bundeswehr biete Bildungschancen und Aufstiegsmöglichkeiten, die es woanders nicht gebe, deswegen sehe er "die Gefahr einer Verrohung nicht", sagte Königshaus.

Statt Zivildienst jetzt "BFD", "FSJ" oder "FÖJ"

Der Zivildienst ist an die Wehrpflicht gekoppelt und fällt damit ebenfalls weg. Die Bundesregierung will die Lücken etwa bei der Pflege alter und kranker Menschen durch einen Bundesfreiwilligendienst (BFD) schließen. Der Einsatz soll in der Regel zwölf, mindestens aber sechs und höchstens 24 Monate dauern. Das Freiwillige Soziale Jahr und das Freiwillige Ökologische Jahr sollen durch den neuen Dienst ergänzt werden.

Zum Start des Bundesfreiwilligendienstes sehen Wohlfahrtsverbände in Deutschland einen erheblichen Bewerbermangel. "Da wird sich in jedem Fall eine Lücke auftun", sagte der Hauptgeschäftsführer des paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, der Nachrichtenagentur dpa. Laut einer dpa-Umfrage sieht es bei den anderen großen Verbänden - Caritas, Deutsches Rotes Kreuz (DRK), Diakonie und AWO - ähnlich aus. Bislang gibt es bei den fünf großen Verbänden nur etwas mehr als 1000 Zusagen.

Dennoch spricht das Bundesfamilienministerium von einem Erfolg: "Das Interesse am Bundesfreiwilligendienst ist schon jetzt enorm, obwohl der richtige Schub erfahrungsgemäß erst nach den Sommerferien kommt, wenn die Studienplätze vergeben wurden", sagte Staatssekretär Josef Hecken der "Passauer Neuen Presse". Im Schnitt meldeten sich 250 Bewerber pro Woche.

"Ausreichen wird das nicht"

Das Ministerium rechnet bis 2012 mit rund 35.000 Freiwilligen, davon wollen künftig allein die Verbände fast 27.000 Stellen anbieten. Die Zielmarke sei zumindest im ersten Jahr völlig unrealistisch, erklärte Rainer Hub vom Diakonie-Bundesverband. Bislang sind bei dem Hilfswerk nur rund 200 Verträge für die 3000 in diesem Jahr geplanten Stellen abgeschlossen worden. Langfristig soll es einmal 7500 Plätze geben. Ob die angepeilten BFD-Stellen in diesem Jahr noch besetzt werden, sei fraglich. Auch andere Wohlfahrtsverbände sind kritisch.

Ausfälle beim Pflege- und Betreuungspersonal soll es Verbänden und Ministerium zufolge nicht geben. Beim Roten Kreuz waren zum Schluss von einst 9000 Zivildienststellen nur noch 2000 übrig geblieben. "Wir mussten uns also schon auf diese Situation einstellen", sagte Koch. Um den Übergang abzufedern, werden nach Ministeriumsangaben von den noch verbliebenen rund 19.000 Zivis mehr als 14.000 ihren Dienst freiwillig verlängern. Ausreichen wird das aber nicht, meinen die Verbände.

Auch Senioren dürfen den neuen Dienst leisten

Die Verbände setzen nun auf junge Menschen, die nach der Schule ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) machen - das Familienministerium will mehr Stellen bewilligen. NRW-Sozialminister Guntram Schneider (SPD) fordert nach dem Wegfall des Zivildienstes ein soziales und ökologisches Pflichtjahr für alle Schulabgänger. "Ich sehe keine Alternative, wenn ich mir zum Beispiel die Entwicklung in der Pflege ansehe", sagte Schneider der "Westfälischen Rundschau".

Der neue Bundesfreiwilligendienst steht für Männer und Frauen jeden Alters offen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen geht aber davon aus, dass der Dienst "kein Renner für alle älteren Menschen wird". Dennoch sei es richtig, Freiwilligendienste für Senioren zu öffnen, sagte die Ehrenpräsidentin der Organisation, Roswitha Verhülsdonk, dem epd.

Verhülsdonk verwies auf die Daten im jüngsten Freiwilligensurvey der Bundesregierung. Danach sind von den 60- bis 69-Jährigen bereits 37 Prozent freiwillig aktiv. Selbst von den über 70-Jährigen bekleidet jeder vierte ein Ehrenamt. Dennoch ist die Ehrenpräsidentin überzeugt, dass der neue Bundesfreiwilligendienst auch bei Älteren Interesse weckt: "Es gibt viele, die Leerläufe mit Leben füllen wollen." 

dpa/epd