Ägypten: Große Vergangenheit - ungewisse Zukunft

Ägypten: Große Vergangenheit - ungewisse Zukunft
Niemand weiß, wie Ägyptens Zukunft aussieht. Ägyptens Vergangenheit jedoch beeinflusste die Geschichte Europas und des Christentums: Im Geschichtsunterricht lernen wir das Land der Pharaonen als einen kulturellen Vorläufer der griechisch-römischen Antike kennen, und Cäsar und Kleopatra sind ein Traumpaar der Antike.
01.02.2011
Von Ralf Peter Reimann

Auch die religiösen Wurzeln des Judentums liegen in Ägypten. Die nomadisierenden Israeliten suchen zur Zeit der Patriarchen in Ägypten Zuflucht vor der Hungersnot. Dort treffen Jakobs Söhne der biblischen Überlieferung nach auf ihren Bruder Josef, der in Ägypten mittlerweile zu Amt und Würden gekommen ist und daher seinen Geschwistern und ihren Familien helfen kann.

Zufluchtsort für Jesus ...

In Ägypten wachsen die Israeliten zu einem Volk heran. Sie werden zu Frondiensten herangezogen - und lehnen sich schließlich gegen die Ägypter auf. Ihr Anführer Mose wuchs bei einer ägyptischen Prinzessin auf, doch er wendet sich gegen die Ägypter. Der Exodus aus Ägypten wird zum Schlüsselereignis der Israeliten. Anders als heute stehen die Fleischtöpfe Ägyptens jedoch damals für ein Leben in Wohlstand und Sicherheit.

Zur Zeit des Hellenismus wird die Hafenstadt Alexandria zu einem Zentrum der Gelehrsamkeit. In Ägypten entsteht die Übersetzung der hebräischen Bibel (des christlichen Alten Testamentes) ins Griechische. Die Septuaginta - der Legende nach in Alexandria von 70 Gelehrten ins Griechische übersetzt - wird nicht nur die Grundlage des hellenisierten Judentums, sondern ist die Heilige Schrift, die in der frühen Kirche genutzt wird. Ohne die Septuaginta wäre die Ausbreitung des Christentums sicherlich anders verlaufen.

Dem Matthäus-Evangelium zufolge ist Ägypten auch Zufluchtsort für Jesus und seine Eltern, um dem Kindermord des Herodes zu entgehen. Der frühchristlichen Überlieferung zufolge zog der Evangelist Markus nach Alexandria, wurde dort Bischof und begründete die koptische Kirche.

… und spirituelles Zentrum der Christenheit

Nach ihrem Selbstverständnis gehören die Kopten - abgeleitet von der griechischen Bezeichnung Aigyptoi, also Ägypter - zu den Christen der ersten Generation. Ursprünglich bezeichnete der Ausdruck Kopten diejenigen Einwohner Alexandriens und ganz Ägyptens, die als ihr Idiom die ägyptische Sprache verwendeten. In römischer, byzantinischer und frühislamischer Zeit wurde das Wort ohne Rücksicht auf die Religionszugehörigkeit gebraucht. Seit der zunehmenden Arabisierung und Islamisierung Ägyptens wird der Begriff jedoch allein für die Christen der koptischen Kirchen verwendet. Die Zahlenangaben schwanken, jedoch zählen sich rund ein Zehntel der heutigen ägyptischen Bevölkerung zu den Kopten, deren christliches Erbe bis ins erste Jahrhundert zurückreicht.

In den ersten Jahrhunderten nach Christus war Ägypten ein theologisches und spirituelles Zentrum der Christenheit, der Kirchenvater Athanasius (300 - 373 n. Chr.) war Bischof von Alexandria.

Das christliche Mönchtum hat seine Wurzeln in der ägyptischen Wüste. Antonius, um 251 in Mittelägypten als Sohn wohlhabender christlicher Bauern geboren, verschenkt seinen Besitz an Arme und zieht sich in die Einsamkeit zurück. Zuerst in eine Hütte in der Nähe seines Dorfes, anschließend in eine alte ägyptische Grabkammer, bis er zum Schluss seine Einsiedelei in der Wüste einrichtete, wo er nach einem langen asketischen Leben starb. Seine Nachfolger bilden Kommunitäten. Das christliche Klosterwesen steht in dieser Tradition des Antonius. Das christliche Mittelalter in Europa mit der starken Stellung der Klöster wäre ohne dieses Erbe undenkbar.

Faszinierend bis heute

Auch wenn sich mit der Islamisierung Ägyptens der Charakter des Landes ändert, die Auseinandersetzung mit dem christlichen Erbe dauert an. Kontakte zwischen Ost und West gab und gibt es innerhalb des Mittelmeerraumes. Bis ins 20. Jahrhundert bestand auch Austausch über die griechische Minderheit in Alexandria. Napoleons Ägypten-Feldzug diente einerseits dazu, die britische Vormachtstellung im Mittelmeerraum zu brechen, andererseits begleiteten ihn Gelehrte, Künstler und Ingenieure. Napoleons Expedition war daher auch die Grundlage zur wissenschaftlichen Erforschung Ägyptens, in Europa kam die Beschäftigung mit dem Orient in Mode. Pyramiden und Mumien faszinieren bis heute.

Ist in der christlichen und jüdischen Tradition die Geschichte Israels und Ägypten untrennbar miteinander verbunden, so machte der Friedensschluss zwischen Ägypten und Israel im Jahre 1978 wiederum Geschichte: Erstmalig erkannte ein arabisches Land Israel an und tauschte Israel Land gegen Frieden ein.

Niemand weiß, wohin sich Ägypten in den nächsten Tagen und Monaten bewegen wird. Fest steht aber, dass das Land weiterhin eine wichtige Rolle in Politik und Kultur spielen wird.


Ralf Peter Reimann ist evangelischer Pfarrer und Mitarbeiter von evangelisch.de.