Heftiger Schlagabtausch vor Atom-Entscheidung

Heftiger Schlagabtausch vor Atom-Entscheidung
Die Zukunft der Atomkraft spaltet das Parlament: In einer hitzigen Debatte schenken sich Opposition und Regierung nichts. Schwarz-Gelb will seine Energiepläne aber ohne Abstriche durchsetzen. Die Entscheidung über eine Laufzeitverlängerung für die deutschen Meiler soll noch am Donnerstag fallen.
28.10.2010
Von Tim Braune und Georg Ismar

Unmittelbar vor der Entscheidung im Bundestag über die Verlängerung der Atomlaufzeiten haben sich Opposition und Regierung am Donnerstag einen heftigen Schlagabtausch geliefert. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte, Schwarz-Gelb peitsche den Atomdeal durch und missachte dabei Rechte der Opposition. Er sprach von einer "Rüpelbande der Union".

Die Zustimmung des Bundestags zur durchschnittlichen Laufzeitverlängerung von 12 Jahren für die 17 deutschen Kernkraftwerke galt mit schwarz-gelber Mehrheit als sicher. SPD und Grüne hatten vor zehn Jahren einen Atomausstieg bis etwa 2022 beschlossen, der nun aufgekündigt werden soll. SPD-Chef Sigmar Gabriel warf der Regierung vor, mit dem Laufzeitplus für die Atommeiler von Eon, RWE, EnBW und Vattenfall die Anbieter von Ökostrom aus dem Markt zu drängen: "Sie schaffen Vorteile für die vier Dinosaurier der Energieversorgung."

Rüpelbande, Blindgänger, Klamauk

Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) konterte die Vorwürfe seiner Kritiker: "Sie sind energiepolitische Blindgänger." Grüne, SPD und Linke schürten Ängste und schielten nur auf Wählerstimmen. "Sie stellen die Parteiinteressen vor die Interessen des Landes." Röttgen unterstrich, das schwarz-gelbe Konzept mit 80 Prozent Ökostromanteil bis 2050 sei das weltweit ehrgeizigste Programm für erneuerbare Energien. "Das ist eine Revolution."

Am Donnerstag starteten rund 50 kommunale Energieversorger eine Kampagne gegen das Gesetz. Bei den Stadtwerken sind nach eigenen Angaben Ökostrom-Investitionen von sechs Milliarden Euro gefährdet, weil die Marktmacht der Atomkonzerne zementiert werde. Auch prüfen Stadtwerke eine Beschwerde bei der EU-Kommission.

Grüne kommen in Schwarz

Vor allem die Grünen hatten vergeblich versucht, in letzter Minute die Abstimmung zu verhindern. Sie sorgten mit vielen Wortmeldungen und 24 Änderungsanträgen, über die namentlich abgestimmt werden musste, für eine deutliche Verzögerung. Als Zeichen ihres Protests trugen Grünen-Abgeordnete schwarze Kleidung mit kleinen gelben X-Kreuzen - dem Symbol des Anti-AKW-Widerstands aus Gorleben.

Die Koalition hielt den Grünen vor, das Parlament zu missachten. "Die Grünen müssen eines wissen: Je mehr Klamauk sie machen, desto mehr schaden sie sich selber, wenn es um ihre Wahrnehmung nach außen geht", sagte der Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier (CDU). Linksfraktions-Chef Gregor Gysi erklärte, Schwarz-Gelb spalte bei der Kernenergie die Gesellschaft: "Was sagen Sie den Leuten, wenn uns irgendwann mal ein Atomkraftwerk um die Ohren fliegt?"

Klage vor Bundesverfassungsgericht?

Grüne, Linkspartei und SPD sowie mehrere Bundesländer wollen vor dem Bundesverfassungsgericht klagen, wenn die Regierung wie erwartet den Bundesrat bei der Atomverlängerung außen vor lässt. Schwarz-Gelb hat in der Länderkammer keine Mehrheit.

Beim Ausbau der Stromnetze will die Regierung die Lehren aus den massiven Bürgerprotesten gegen Stuttgart 21 und den neuen Berliner Hauptstadtflughafen ziehen. Große Infrastrukturprojekte müssten gemeinsam mit den Bürgern auf den Weg gebracht und besser erklärt werden: «Ich rege dafür einen Nationalen Pakt für neue Netze an», sagte Brüderle. In den nächsten Jahren würden 3500 Kilometer neue Netzleitungen gebraucht, um den Strom aus Windenergie von den Küsten in die Industriegebiete zu transportieren.

dpa