Die Waikiki-Walküre: Oper für alle in Bayreuth

Die Waikiki-Walküre: Oper für alle in Bayreuth
Zum dritten Mal gab es bei den Bayreuther Festspielen eine Opern-Liveübertragung. Mit Erfolg: Rund 20.000 Menschen kamen zur "Walküre" unter freiem Himmel.
22.08.2010
Von Frank Piontek

Als der Gott die Göttlichkeit von den Augen seiner Tochter küsst, da ist es ganz still im Publikum. Mehrere tausend Menschen sehen gebannt auf die Szene und lauschen der Musik, mit der Richard Wagner seine Walküre in den Schlaf geleitet. Nein, wir sitzen nicht im Bayreuther Festspielhaus. Wir sitzen auf dem Bayreuther Volksfestplatz, auf dem auch dieses Jahr das Public viewing der Bayreuther Festspiele, also die "Siemens Festspielnacht" stattfindet. In Bayreuth geht man mit der einmaligen Übertragung erst ins dritte Jahr – aber dies sehr erfolgreich.

Wieder sind etwa 20.000 Menschen gekommen, um die Liveschaltung zu genießen: eine Form der Popularisierung der als schwer eingestuften Werke des Bayreuther Meisters, die die Menschen aus München und aus dem nahen Coburg, aus nah und fern anzieht. Bei fränkischen Bratwürsten, spanischen Leckereien und einem anschließenden Wagnerbecher lässt sich Oper nicht weniger kultiviert geniessen als im Festspielhaus, das für viele Besucher des Livestream eher eine elitäre Veranstaltung ist.

Weit mehr als eine Liveübertragung

Das Programm aber geht weit über die bloße Liveübertragung aus dem Festspielhaus hinaus, wo zehn Kameras und ein Heer von Tonmeistern unter der Leitung eines Wiener Tonprofessors die "Walküre" in der Inszenierung von Tankred Dorst digitalisieren. Es beginnt bereits am Vormittag mit einem Kinderblock, in dem die Kleinen auf spielerische und sehr lustige Weise zu Wagner und zur großen Welt der Oper hingeführt werden. Für viele Erwachsene, aber auch für manches Kind sind diese Tage zu Erstbegegnungsstätten geworden – und viele werden zu Wiederholungstätern.

Wagner macht schließlich süchtig, aber nicht jeder würde es vermutlich drei Akte lang auf den unbequemen Sitzen des Festspielhauses aushalten. Diesmal wird die diesjährige Kinderoperproduktion der Bayreuther Festspiele - "Tannhäuser" - gezeigt. Die Kinder haben sichtlich Spaß am Film, aber auch am anschließenden Erlebnisparcours, in dem sie das Theater gleichsam von innen kennenlernen. Nein, große Oper muß nicht anstrengend sein. Kostüm, Maske, Schwertkampf – all das ist Wagner.

"Was passiert eigentlich im Stück?"

Auch wer unter den Erwachsenen die "Walküre" noch nicht kannte, muss sich nicht fürchten. Viele Opernungeübte erfahren hier zum ersten Mal durch die Einführung der jugendlich begeisterten Theaterwissenschaftlerin Katja Leber, was es mit diesem Stück auf sich hat. "Was passiert eigentlich im Stück?" Diese Frage ist die häufigste, die die wandelnden Opernführer beantworten müssen. Man erkennt sie an der weinroten Schärpe über dem schwarzen Wagner-T-Shirt – ansonsten ist knallrot die Farbe an diesem Tag: passend zum Feuerzauber, der gegen 22 Uhr die Walküre umlohen wird.

Dass die Inszenierung die Oper in die Moderne gebracht hat, stört keinen. Man genießt die hohe musikalische Güte der Aufführung, die Atmosphäre, die Umgebung – und die Beinfreiheit. Mag man auch bis in den frühen Abend hineinschwitzen, denn der Wettergott war nach einer klimatisch schrecklichen Woche auch den Bayreuthern hold - so weiß man sich zu helfen: Die Wagner-Sonderblätter, die am Eingang ausgegeben werden, finden spätestens in den Sitzreihen zu einer organischen Verwendung: als Hütchen.

Wie am Strand von Hawaii

Man darf sich ja auch wie am Strand von Hawai fühlen; nur ein paar Meter weiter hat man Sand aufgeschüttet, wo sich die findigen Gäste auf Liegestühlen und bequemem Sitzwerk eingerichtet haben. Public viewing oder Die Waikiki-Walküre. "Gäste kamen und Gäste gingen", singt Sieglinde im ersten Akt. Nicht jeder bleibt zwischen 16 und 22 Uhr, aber die meisten verharren geduldig und gespannt. Unterhaltung gibt es auch zwischen den Akten genug. Axel Brüggemann ("Die Welt") ist locker und informiert, auch wenn er immer "Hojatoho" statt "Hojotoho" sagt.

Weniger locker ist man – das sind so die Tücken eines Liveprojekts -, als während des ersten Akts mehrmals der ansonsten exzellente Ton ausfällt. Während in der Pause der Moderator die Statisten am Bühnenrand interviewt – Hundings gar schrecklich aussehende Mannen, mit denen sich anschließend einige hübsche Frauen ablichten lassen - , arbeitet eine Hunderschaft an einem Workaround – und siehe da: Ab dem ersten Takt des zweiten Akts gibt es keine Störungen mehr. Da kommt tatsächlich Festspielstimmung auf. Wagner, der am Beginn seiner "Ring"-Arbeit von einem Festspielhaus im Freien, für alle und umsonst, träumte – er wäre spätestens ab jetzt glücklich gewesen.

Bayreuths Oberbürgermeister Michael Hohl spricht danach vom "Zauber", der über dieser Veranstaltung liegt. "Sensationell, wie im Festspielhaus", diese Meinung eines Zuschauers muss sich nicht allein auf die gerühmte Akustik des Festspielhauses beziehen. Nur: "Man ist einfach entspannter!" Und wo sonst gäbe es derartige Erlebnisse: Wenn Wotan gerade den Feuergott Loge herbeiruft, beginnen plötzlich wieder die Bratwürste zu duften …

Der Feuergott und die Bratwürste

Schließlich gibt es ja noch ein Nachprogramm, damit auch eine Art sehr realer Liveschaltung. Beginnt die Oper – wie oben am Hügel – mit einigen echten Bläsern vor der Leinwand, die die Akte mit ihren Fanfaren einleiteten, so endet der Abend mit dem Auftritt der Sänger, die es sich nicht nehmen lassen, sich auch vom Publikum unten in der Stadt feiern zu lassen. Sie genießen sichtlich diesen "Nachschlag", der mehr ist als ein Anhängsel.

Katharina Wagner, die Urenkelin Richards und die Tochter Wolfgangs, der im Frühjahr verstarb, ist glücklich, dass es in diesem Jahr – sieht man einmal von den Tonstörungen des ersten Akts ab, die dann souverän bewältigt wurden -, geklappt hat. Eine Wiederholung wird schwer gewünscht – der "Wunschmaid" Brünnhilde soll dann der Traumritter Lohengrin folgen.


Dr. Frank Piontek (45) arbeitet als Kulturjournalist und Buchhändler in Bayreuth. Er hat zahlreiche Bücher und Aufsätze veröffentlicht; zuletzt wirkte er an dem Sammelband "Jüdisches Bayreuth" mit.