Tausende demonstrieren gegen Sparpaket

Tausende demonstrieren gegen Sparpaket
Tausende Demonstranten sind am Samstag in Berlin und Stuttgart zu Protestmärschen gegen das Sparpaket der schwarz-gelben Bundesregierung auf die Straße gegangen. Ein Bündnis aus Gewerkschaften, Opposition und sozialen Vereinen hatte dazu aufgerufen. In der Bundeshauptstadt sprachen die Veranstalter nach ersten Schätzungen von rund 20.000 Teilnehmern. Mehrere tausend Menschen protestierten auch in Stuttgart gegen die Kürzungen.

Tumultartige Szenen überschatteten die Demo in der baden- württembergischen Landeshauptstadt. SPD-Landtagsfraktionschef Claus Schmiedel wurde während seiner Rede aus einem Block von rund 300 Menschen mit Eiern und Bananen beworfen. Die Polizei stürmte auf die Bühne. Schmiedel wurde mit Regenschirmen geschützt. Schon zuvor war die Rede des SPD-Politikers durch Trillerpfeifen und Buh-Rufe so vehement gestört worden, dass kaum ein Wort zu verstehen war.

Der Stuttgarter Protestzug unter dem Motto "Gerecht geht anders" begann am späten Vormittag. Auf den Plakaten der Teilnehmer waren Forderungen nach weniger Sozialkürzungen und einem höheren Spitzensteuersatz zu lesen. Bei der Abschlusskundgebung in Berlin am Roten Rathaus soll unter anderen die Parteivorsitzende der Linken, Gesine Lötzsch, sprechen.

Die Kanzlerin wirbt für das Sparpaket, die CDU schießt quer

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warb angesichts der Proteste für mehr Verständnis. "Viele Menschen wissen, dass wir sparen und Schulden abbauen müssen", sagte die CDU-Chefin der "Bild am Sonntag". "Die Maßnahmen im Arbeitsmarktbereich zielen im Übrigen darauf, deutlich mehr Langzeitarbeitslose als bisher wieder in Arbeit zu bringen." Für Bildung, Forschung und Investitionen bleibe aber ohne Sparen zu wenig übrig. Merkel forderte, das Sparpaket so zu nehmen wie es ist, weil das Vertrauen in die Koalition schwinden könne.

Doch die Kritik aus den eigenen Reihen an Sozialkürzungen nimmt zu. Auch die Forderung nach höheren Steuern für Top-Verdiener flammt wieder auf. Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) schließt inzwischen einen höheren Spitzensteuersatz nicht mehr aus: Er hält es für möglich, dass der Bundestag eine solche Entscheidung trifft. "Es ist gutes Recht der Abgeordneten, Maßnahmen der Regierung durch andere zu ersetzen", sagte er dem "Spiegel". Dies könne auch für einen höheren Spitzentarif in der Einkommensteuer gelten: "Warum denn nicht?" Schäuble hatte zuvor gesagt, er halte von einem höheren Spitzensteuersatz rein gar nichts.

Präsidentschaftskandidat Gauck mahnt den sozialen Frieden an

Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) lehnte eine Streichung des Elterngelds für Langzeitarbeitslose ab. "Das Schicksal der meisten Hartz-IV-Empfänger ist schon schwer genug", sagte sie dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe hielt dem in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Samstag) entgegen: "Die Kritik an der Anrechnung des Elterngeldes für Hartz- IV-Empfänger läuft ins Leere, weil wir zugleich im Bereich Bildung insbesondere für die Kinder aus Hartz-IV-Familien mehr tun werden." Der FDP-Haushaltspolitiker Otto Fricke sagte im Deutschlandradio Kultur, es gebe allerdings durch das Bundesverfassungsgericht die Verpflichtung, für Kinder von Hartz-IV-Empfängern noch einiges zu tun.

Der Bundespräsidentenkandidat von SPD und Grünen, Joachim Gauck, warnte am Freitag in der ARD: "Wir müssen sparen. Aber ein ungleichmäßiges Sparen schafft mehr Probleme." Der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge warnte, das Milliarden-Sparpaket könne zur "steilen Rutsche" in die Armut werden.

Schneider befürwortet Belastung von Wohlhabenden

Der amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, hat die Bundesregierung aufgerufen, die Wohlhabenden beim Abbau der Staatsschulden zu beteiligen. Die Reichen hätten durchaus Angebote gemacht, aber die Koalition sei nicht darauf eingegangen, sagte Schneider am Samstag im Inforadio des RBB. "Das kann man überhaupt nicht mehr verstehen."

Die armen Menschen hingegen würden doppelt belastet, einerseits durch direkte Einschnitte und andererseits dadurch, dass die Entschuldung stark verschuldeter Kommunen kein Thema mehr sei. "Das heißt, die Lebensbedingungen werden bei den Menschen selber verschlechtert, weil sie weniger Geld haben werden, und sie werden dann auch noch in den Kommunen verschlechtert, so dass die Angebote des Staates gerade auch für die armen und die kleinen Leute nochmals zurückgefahren werden", kritisierte Schneider. Er sei davon überzeugt, dass sich die Menschen diese soziale Unausgewogenheit nicht mehr so einfach gefallen lassen werden.

Inwieweit Kirchengemeinden und Landeskirchen an etwaigen Protesten teilnehmen, stehe außerhalb seines Einflusses. "Ich werde aber auch nicht widersprechen, wenn sie sich daran beteiligen", betonte der Theologe. Denn Protest auf der Straße sei eine legitime Form der Meinungsäußerung in einer Demokratie.

dpa/ epd