Es kommt ein Schiff geladen

Es kommt ein Schiff geladen
Nachrichten über abgewiesene Schiffe der Seenotrettung machen fassungslos. Die Humanität sinkt im Mittelmeer.

Es ist ein verrücktes, ja fast beschämendes Gefühl, als ich die Fähre buche. Weil es so einfach für mich ist. Ich wähle die gewünschte Abfahrtszeit aus, gebe meinen Namen, meine Mailadresse und meine Kontoverbindung ein und schon ist klar: Meiner Überfahrt auf die Insel steht nichts im Wege. 30 Euro für Hin- und Rückfahrt und es kann losgehen. Auf der 45-minütigen Schiffsreise kann ich Chocomel trinken und an Deck Ausschau nach dem Leuchtturm halten. Ich muss mich nicht sorgen. Dass ich nicht an Land gehen dürfte, diese Option gibt es für mich nicht.

Seit Anfang 2015 seien mehr als 13.000 schutzsuchende Menschen im Mittelmeer ertrunken. Mehr als tausend bereits in diesem Jahr, heißt es in einer Pressemitteilung der Deutschen Bischofskonferenz aus der vergangenen Woche. Das sind Zahlen, die ich mir nicht vorstellen kann, vielleicht auch nicht vorstellen will. Ein Meer aus Zahlen. Zahlen im Meer.

Aber die Gesichter der Menschen auf den Booten, die mir das Fernsehen zeigt, die Zeitung und das Internet, die kann ich mir vorstellen und nicht vergessen. Sie berühren mich, ob ich das will oder nicht. Seit ein paar Wochen sind sie wieder präsenter in unseren Nachrichten. Weil die in Seenot geratenen Menschen, die aus ihrer Heimat vor Verfolgung und Vernichtung flüchten,  über lange Zeit nicht anlegen dürfen. Es kommt ein Schiff geladen, und keiner will es haben. „Nehmt ihr sie!“ – „Nein, ihr!“ ruft man sich von den Küsten zu, fast so als würde man „Schiffe versenken“ spielen. Aber mit echten Menschen.

Ich sehe fassungslos zu und buche eine Fähre. Vom Festland auf die Insel. Zum Ferienmachen. Ich flüchte allerhöchstens vorm Alltag. Seenot fürchte ich nicht. Ich klicke auf „Buchen“ und tue das mit einem seltsam-schweren Herzen. Dankbar für diese Freiheit, die ich habe, diese Sorglosigkeit, die sich wie ein roter Faden durch mein Leben zieht und die ich meist für selbstverständlich halte. Aber ich buche auch in großer Trauer. Um die Menschen, die diese Freiheit, diese Sorglosigkeit nicht haben. Die als ungebetene Gäste wahrgenommen werden. Gesichtslos, so scheint es. Geschichtenlos. Was für ein Trugschluss.

Ich buche und bete dabei, bitte darum, dass politische Machtkämpfe nicht mehr auf dem Rücken des Meeres und schon gar nicht auf dem Rücken von Menschen ausgetragen werden. Ich bitte um Humanität und Herzenswärme, um Einsicht und Einfälle, wie das gehen kann, dass Häfen keine Grenzen bleiben, dass Rettung möglich ist, dass niemand mehr ertrinken muss. Und ich leihe mir dazu Worte, bei einem alten vertrauten Lied: Es kommt ein Schiff, geladen, bis an sein’ höchsten Bord. Gewöhnlich singe ich es zu Weihnachten und nicht im Sommer. Aber gewöhnlich ist es ja auch nicht, dass Schiffe der Seenotrettung tagelang nicht in einen Hafen einlaufen dürfen. So bete ich, im Wattenmeer fürs Mittelmeer, dass dieses alte Lied wahr werden möge: dass ein Schiff die Menschen voll Gnade trage und sein Segel tatsächlich die Liebe sei. 

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