Schalom

Krieg in der Ukraine
Schalom
Ein unscheinbares Wort birgt in sich die Utopie einer anderen Welt

Stilvoll Glauben – das ist meistens eher lustig, manchmal ironisch, gelegentlich auch mal sehr ernst. Ja, ich hätte noch ein paar wirklich irre Geschichten auf Lager, aber gerade fällt es mir sehr schwer, darüber Lustiges zu schreiben.

Stattdessen möchte ich heute die wichtigstens Erkenntnisse einer Vorlesung zusammenfassen, die ich vor bald 30 Jahren im Studium besuchte. „Frieden als Grundwort christlicher Theologie“ hieß sie, glaube ich. Ein halbes Jahr lang führte uns Professor Hermann Dembowski in Bonn ein in die Bedeutung dieses einzelnen Wortes. Für mich eine der inspirierendsten Vorlesungen meines Studiums.

Es war mir vorher nicht klar gewesen, wie unterschiedlich dieses kleine Wort gelesen werden kann. Denn Frieden – das ist weitaus mehr als das Schweigen der Waffen.

Für die alten Griechen beispielsweise, so Dembowski, war Frieden gar nicht der erstrebenswerte Idealzustand. Krieg bedeutete Fortschritt, Entwicklung. Nun ja, sie kannten damals auch noch nicht die zerstörerischen Möglichkeiten heutiger Technik. Sicher hätten sie das heute anders gesehen.

Die Römer dagegen: Die liebten den Frieden. Aber eben ihre ganz spezielle Variante davon. Kurz zusammengefasst, lautete die: „Frieden, sonst gibt’s eins aufs Maul!“ Sie besetzten andere Länder und zwangen ihnen die „pax Romana“ auf, den römischen Frieden. Nein, es war kein guter Frieden, es war ein gewaltsam durchgesetzter Frieden, ein Stillhalten gegenüber der Besatzungsmacht, immer wieder durchgesetzt mit massenhhaften Todesurteilen, Kreuzigungen und Erniedrigungen. Kommt mir aus so manchen anderen Zeiten der Geschichte durchaus bekannt vor. Fast überall, wo Regierungen autoritär herrschen oder andere Länder und Regionen besetzt halten, läuft es darauf hinaus. Es ist zu befürchten, dass nun auch der Ukraine so eine „pax Romana“ blüht.

Und die Bibel? Natürlich verwendet die Bibel, die über einen Zeitraum von mehr als tausend Jahren entstanden ist, den Begriff nicht ganz einheitlich, das ist klar. Aber gerade an den theologisch zentralen Stellen zeigt sich: Frieden ist weit mehr als all das, was ich gerade aufgezählt habe. Frieden, hebräisch: Schalom – das ist Versöhnung. Eine Versöhnung in einem Umfang, den wir uns kaum vorstellen können. Frieden: Das bedeutet, dass alle genug haben für ein gutes Leben. Dass niemand einem anderen Menschen etwas neiden muss. Es bedeutet aber auch die Versöhnung mit der Natur – und mit Gott. Schalom, das heißt: Einklang von Menschen, Natur und Gott.

Jesaja beschreibt diesen umfassenden Frieden wunderschön poetisch im Kapitel 11, dessen erster Vers zu dem bekannten Weihnachtslied „Es ist ein Ros entsprungen“ führte. Lesen Sie es doch mal im Ganzen. Hier nur ein kleiner Ausschnitt.

6 Da wird der Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böcklein lagern. Kalb und Löwe werden miteinander grasen, und ein kleiner Knabe wird sie leiten. 7 Kuh und Bärin werden zusammen weiden, ihre Jungen beieinanderliegen, und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. 8 Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein kleines Kind wird seine Hand ausstrecken zur Höhle der Natter. 9 Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land ist voll Erkenntnis des HERRN, wie Wasser das Meer bedeckt.

Jesaja 11, 6-8. Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

Unerreichbar fern scheint so eine Vision, wenn ich auf unsere heutige Welt sehe. Versöhnung zwischen Menschen? Nie waren so viele Millionen auf der Flucht vor Gewalt und Krieg wie heute, und immer noch verhungern Menschen, die wir völlig aus dem Blick verloren haben, während andere für unseren Wohlstand zu Hungerlöhnen schuften. Versöhnung mit der Natur? Ich sage nur Klimawandel, Plastikmüll in den Meeren, Fleischindustrie, Versiegelung. Versöhnung mit Gott? Davon scheinen wir weit entfernt – und doch hoffe ich darauf, dass Gott sich mit uns versöhnt.

Schalom – ich fürchte, diesen Zustand werden wir auf dieser Erde nie erreichen. Aber ich finde, es lohnt sich, sich dafür einzusetzen. Denn jeder Schritt zu mehr Schalom tut uns gut.

Darum wünsche ich Ihnen heute, in diesen kriegerischen, unruhigen Zeiten, genau das:

Schalom.

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