Der weltberühmte Chor, den keiner kennt

Der weltberühmte Chor, den keiner kennt

Erinnern Sie sich noch an Novodettelsibirsk? Nur mal zur Rekapitulation: Nürnberg Hauptbahnhof, Gleis 21. Umsteigen in... ja, richtig. Wicklesgreuth. Durch die Unterführung. Und dann weiter: Petersaurach, Neuendettelsau. Heute bleiben wir mal im Zug sitzen, fahren an der ehemaligen Bedarfshaltestelle Wernsbach (zulässige Höchstgeschwindigkeit in der scharfen Gleiskurve: 20 km/h) vorbei geradewegs bis zum Endbahnhof dieser schnuckeligen kleinen Provinzbahn: Windsbach. Endstation.

Hunderte von Schülern steigen hier an jedem Schultag aus, pilgern den Berg hinauf zum ehrwürdigen Johann-Sebastian-Bach-Gymnasium. Auch ich bin dort zur Schule gegangen, allerdings als Windsbacher Eingeborerer. Damals war es gerade erst wenige Jahre her, dass sich das ehemalige Knabengymnasium auch für Mädchen geöffnet hatte. Noch immer fuhren viele Mädchen lieber nach Neuendettelsau und Neuendettelsauer Jungs nach Windsbach. Vermutlich hat sich das inzwischen gelegt; 1980, als ich in diese Schule kam, war es noch so.

Gleich neben dem Gymnasium: Der Kasten. Der heißt wahrscheinlich umgangssprachlich immer noch so. Das ehemalige „allgemeine protestantische Pfarrwaisenhaus“ nennt sich heute offiziell Evangelisch-Lutherisches Studienheim – und ist die Heimat eines der bedeutendsten Knabenchöre unserer Zeit. Weltweit. Weiß bloß keiner, was irgendwie ein bisschen dumm ist.

Seit über 60 Jahren musizieren die Windsbacher auf höchstem musikalischen Niveau. Gegründet von Hans Thamm nach dem Krieg, weitergeführt von Karl-Friedrich Beringer. In 60 Chorjahren ganze zwei Chorleiter; Ende des Jahres geht Beringer in der Ruhestand. Fast ist es ein bisschen wie mit der Bekanntheit von Neuendettelsau in Papua-Neuguinea: Fragen Sie doch mal in Japan, Brasilien, Südkorea nach dem Windsbacher Knabenchor. Wer etwas von Musik versteht, der kennt sie. Von ihren Touren durch die ganze Welt. Bundespräsidenten haben sie begleitet auf offiziellen Staatsreisen.

Regensburger Domspatzen? Leipziger Thomaner? Ja, die sitzen in großen, bekannten Städten. Haben auch eine längere Geschichte, durch die sich ihr Name einprägen konnte. Eindeutig ein großer Standortvorteil. Mag sein, dass ich da lokalpatriotisch ein wenig vorbelastet bin – der beste Knabenchor Deutschlands, einer der besten der Welt, singt irgendwo in der Pampa. Umsteigen in Wicklesgreuth, durch die Unterführung. 

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