Vom Geheimnis des Alltags

Vom Geheimnis des Alltags
Wo ist Gott, wenn Festtage wie Ostern vorbei sind? Wo ist er im täglichen Einerlei? Wo, wenn es nicht um ihn geht, sondern um uns?

Ostern ist vorbei. Der Alltag hat uns wieder.

Der Einzug in Jerusalem, das letzte Abendmahl, der Verrat, die Verleugnung und bitteren Tränen, die Kreuzigung, die Auferstehung, das ewige Leben. Acht Tage geballter dreieiniger Gott: vorbei.

Nun also Alltag. Dieses "gleichförmige tägliche Einerlei", wie es in einer Definition heißt. Wo ist er da, dieser Gott? Wo ist er, wenn es nicht um ihn geht, sondern um uns? Wo ist er, wenn uns etwas zustößt, wenn wir nicht weiterwissen …

Eine Woche vor Karfreitag starb die Mutter einer Freundin. Ihr Vater war im Dezember gestorben, an Weihnachten. Palmsonntag, Karfreitag, Ostern, Weihnachten, für die Freundin wird das nie mehr so sein wie bisher. Und auch nicht für ihren Mann.

Die beiden gehören zu unserem Chor in Christkönig, der nach Christus, dem König, benannten katholischen Pfarrkirche in Nymphenburg. Doch mit uns singen konnte sie nicht. Weder zur Weihnachtszeit noch jetzt. Sie schaffte es einfach nicht. Man hörte, dass sie nicht dabei war. Wie sie fehlte, wie ihre Stimme uns fehlte! Und trotzdem war sie da. Bestimmte unseren Gesang durch all die Tage. Vom "Hosianna-Jubel" bis zum "Weg-mit-dem!", vom "Wenn ich einmal soll scheiden …" bis zum "Halleluja!". Seltsam war das.

Wir sangen für sie, der ganze Chor. Zu Weihnachten schickten wir ihr Fotos und kleine Mitschnitte. Nun brachten wir ihr Palmzweige und Osterkerzen …

Ein Chor ist ein Chor, gewiss. Wir musizieren wie andere Chöre auch. Wir proben Mittwoch für Mittwoch, wir freuen uns, ärgern uns, fluchen, wir benehmen uns im Wechsel wie kleine Schulkinder und große Solisten, letzteres zum größten Missfallen unseres ebenso wunderbaren wie gestrengen Chorleiters, dann singen wir besser und lachen mit ihm, und wenn wir dann die Messe begleiten oder ein Konzert singen, sind wir begeistert, ja berauscht von diesem Klang!

Und doch ist da mehr als bloßer Gesang. Ist da Geborgenheit und Glück, ist da Gewissheit und Glauben. Da kommt es nicht darauf an, was jemand kann oder beruflich macht. Da ist es egal, ob er gut reden kann oder sie viel verdient. Da spielt es keine Rolle, wie jemand lebt oder wen sie liebt.

Da hört man einander zu, ist füreinander da. Ist beieinander, ja mehr noch: miteinander verbunden. Da ist niemand allein. Man kennt die Familien, die Eltern und Kinder, die Partner, die Großeltern. Selbst die Hunde kennen wir mit Namen. Wir teilen die Freuden und Sorgen, das Lachen und Weinen. Meist geschieht das ganz beiläufig, nebenbei. Da muss man nicht viel sagen.

Und auf einmal merkt man: Da ist Gott! … Es ist Gottesdienst! … Gottes Dienst an uns …

Dieser Chor ist meine Heimat. Eine Kirchenheimat, in der das Leben Platz hat. Mit allem, was dazugehört.

Vielleicht ist das das Geheimnis: Gott gibt es nicht nur an hohen Feiertagen. Er zeigt sich vor allem im Kleinen. Bei uns.

Im Alltag, diesem zuweilen so erstaunlichen "gleichförmigen täglichen Einerlei".

weitere Blogs

Das queere Vereinsleben ist so bunt und vielfältig wie die queere Szene. Aber wie politisch neutral sollten diese Vereine heute (noch) sein?
Traupaar während der Zeremonie in St. Johannis
Am schönen Datum 24.4.24 standen in ganz Bayern Kirchen offen für spontane Segnungen und Trauungen
Lesbisches Paar
Was hat der 01. Mai mit queerer Theologie zu tun? Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Queerness immer schon Teil der Arbeiter*innenbewegung war. Und weil die Lesbian Visibility Week erst gestern zu Ende gegangen ist, nimmt der Beitrag ein Beispiel aus der lesbischen Geschichte auf.