TV-Tipp: "Tatort: Hetzjagd"

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30. April, WDR, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Hetzjagd"
Selbst rechtsextremistische Mörder haben ein Recht auf Gerechtigkeit: Das ist eine der Botschaften dieses neunten Beitrags von Thomas Bohn (Buch und Regie) zum "Tatort" aus Ludwigshafen.

Um die Diskrepanz zwischen Emotion und Gesetz zu verstärken, hat Bohn denkbar konträre Figuren entworfen: hier der "Rock gegen Rechts"-Konzertveranstalter Meinecke, dort ein tätowierter tumber blonder Neonazi. Als der eine ermordet wird und der andere zweifelsfrei am Tatort war, scheint der Fall klar, zumal Ludger Rehns (Daniel Noel Fleischmann) bei seiner Flucht auch noch eine Polizistin erschossen hat. Diese Tat kann er schlecht leugnen, weil sie vor Zeugen stattgefunden hat; den Mord an Meinecke habe er zwar geplant, aber nicht ausgeführt. Stattdessen will er eine Frau gesehen haben, die er für einen Rheingeist gehalten hat. Tatsächlich finden sich Spuren am Tatort, die höchstwahrscheinlich von einer Frau stammen. Aus Sicht der Ermittler entlastet ihn das allerdings nicht, denn seine Freundin Hedwig (Anne-Marie Lux) tummelt sich in den gleichen faschistischen Kreisen. Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) hat also keinen Grund, an der Schuld des Mannes zu zweifeln, zumal Meinecke auf der Todesliste des Nazi-Netzwerks Revenge88 stand und bereits diverse Morddrohungen erhalten hat. Außerdem fühlt sich die Kommissarin mitverantwortlich: Der Konzertveranstalter hatte um Personenschutz gebeten; kurz vor seinem Tod musste sie ihm mitteilen, dass dies wegen Personalmangels nicht möglich sei. Auch für den Verfassungsschützer Leonhardt (Oliver Stritzel) ist der Fall klar; bloß Odenthals Kollegin Stern (Lisa Bitter) glaubt Rehns’ Beteuerungen, und tatsächlich finden sich Hinweise darauf, dass die Tat womöglich doch keinen politischen Hintergrund hat.

Bohns Geschichten sind immer interessant, weil er ihnen gern einen "Twist" verpasst, eine Wende, mit der man nicht rechnet. Das ist diesmal allerdings nicht so überraschend wie vermutlich erhofft, schließlich merkt jeder halbwegs erfahrene Sonntagskrimi-Fan auf, wenn eine scheinbar nicht weiter wichtige Nebenrolle prominent besetzt ist. Der Reiz des Films (TV-Premiere war 2021) reicht allerdings über die reine Tätersuche hinaus, und das nicht nur wegen der Informationen über die Neonaziszene, die mehr als bloß gruseliges Beiwerk ist: Bohn hat die Handlung um eine Nebenebene ergänzt, die unversehens ins Zentrum rückt. Plötzlich wird aus der Mördersuche ein Drama über zwei Frauen, deren Dasein komplett aus der Spur geraten ist: Meineckes Freundin Maria (Anna Hermann) irrt ebenso ziellos durch die Nacht wie Hedwig. Als die beiden aufeinander treffen, spüren sie instinktiv eine gewisse Verbundenheit, ohne zu ahnen, wer die jeweils andere ist. Diese plausibel eingefädelte und auch schauspielerisch überzeugende Begegnung ist mindestens so reizvoll wie der eigentliche Fall, zumal Hedwig keineswegs bloß eine gedankenlose Mitläuferin, sondern eine genauso überzeugte Neofaschistin ist wie Rehns. 

Handwerklich bewegt sich "Hetzjagd" wie alle Filme Bohns ohnehin auf hohem Niveau. Die Jagd auf das Nazi-Pärchen ist packend inszeniert, die Musik (Hans Franek) ist ausgezeichnet. Und während Todesfälle anderswo oft mit einem Achselzucken zur Kenntnis genommen werden, weil in Krimis nun mal gestorben wird, herrscht hier nach den tödlichen Schüssen auf die Polizistin tiefe Betroffenheit. Das wiederum hat zur Folge, dass auch jene Kollegen, die womöglich keine lupenreinen Demokraten sind, nicht mal klammheimliche Sympathie für Meineckes mutmaßlichen Mörder hegen. Sänger Clueso spricht bei einem kurzen Gastauftritt aus, was Bohn seinem Publikum zu denken geben möchte: Wie viele Menschen müssen noch sterben, bis Politik und Polizei endlich aufwachen? 

In die gleiche Richtung geht das Misstrauen gegenüber dem Verfassungsschutz. Dessen Mitarbeiter kommen im Krimi ohnehin nie gut weg, und auch Oliver Stritzel verkörpert den überheblichen Beamten betont unsympathisch. Rehns’ Behauptung, der Staatsschutz habe Meinecke ermordet, um einen Grund zu haben, weiter gegen die rechte Szene zu ermitteln, klingt tatsächlich weniger weit hergeholt als sein Gefasel vom Geistwesen. Einzige darstellerische Schwachstelle ist ein Dialog zwischen den beiden Polizistinnen, als Odenthal ausgerechnet der psychologisch geschulten Kollegin erklärt, dass die meisten Menschen ihre eigenen Ängste hassen und diesen Hass dann nach außen tragen; deshalb müssten wir wieder mehr "miteinander reden und dabei klare Kante zeigen, bevor es zu spät ist." Das stimmt natürlich, klingt aber wie eine Sonntagsrede. Da ist Odenthals gute Tat ganz am Schluss ungleich ausdrucksstärker.