Es braucht jetzt uns

epd-bild/Guido Schiefer

Es braucht jetzt uns
Gedanken zur Woche von Ulrike Greim
19.01.2024 - 06:35
29.12.2023
Ulrike Greim
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Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Potsdam: 10.000. Berlin: 25.000 und 30.000 in Köln. Und viele Tausende mehr an anderen Orten. Bisher. Demos gegen rechtsextremes Gedankengut.

Ich atme auf. Es entlastet mich. Endlich gehört die Straße nicht nur denen, die am lautesten schreien und die am kaltblütigsten hassen, die die markigsten Parolen dreschen.

Ja – es wird Zeit, dass Demokratinnen und Demokraten, die bisher still geblieben sind, sichtbar werden. Nicht nur einzelne, sondern viele. Dass deutlicher wird, worum es geht und wie viel auf dem Spiel steht: nämlich die Grundfesten unseres Gemeinwesens.

Für mich als Evangelische sage ich das so: Es geht um den Kern, für den wir als Kirche und Diakonie antreten. Gott wendet sich allen Menschen zu, so wie sie sind. Bedingungslos. Wird selbst ein Mensch unter Menschen. Und wir lernen von Gott. Wir sind Menschen, einander zugewandt, so wie wir sind – unabhängig von Hautfarbe, Reisepass oder Grad der Behinderung. Egal ob jung oder alt, gutverdienend oder arm, alleinerziehend oder Vater-Mutter-Kind. Ohne Klebe-Etiketten. Nicht urteilen sollen wir, sondern hinhören, dann Wege suchen.

So moderate Leute wie ich stehen erschüttert daneben, wenn Rechtsextreme laut werden, aber wir werden – höflich, wie wir erzogen sind – nicht lauter. Das wäre nicht unsere Art. Unsere Sprüche werden nicht markiger, weil das viel zu simpel wäre und den Themen nicht gerecht wird. Aber wir gehen dadurch argumentativ unter.

Gut, wenn jetzt einmal die Zahlen sprechen. Tausende gegen Menschenverachtung in der einen Stadt, Tausende in der anderen Stadt, und am Samstag wieder und auch am Sonntag auch. Möglichst überall im Land. Morgen werde ich um 12 Uhr in Erfurt auf dem Domplatz mit dabei sein. Wir können eine andere Tonart setzen.

„Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind.“ Das ist ein Grundsatz der Bibel, Buch der Sprüche, Kapitel 31. „Tu deinen Mund auf und schaffe Recht dem Elenden und Armen.“ (Sprüche 31,8)

Das jetzt aufgedeckte Geheimtreffen bei Potsdam hat das Fass zum Überlaufen gebracht. AfD-Mitglieder und Neonazis, Unternehmer, Ärzte, Juristen haben sich in einem Landhotel getroffen. Sie haben darüber beraten, wie Menschen mit Migrationsgeschichte vertrieben werden können.

Eine meiner Kolleginnen schreibt, sie könne gerade nicht mehr klar denken, weil sie nur überlegt, wohin sie deportiert werden soll und wer ihr helfen würde. Sie hat zwei Pässe und etwas dunklere Haut.

Da sind wir also wieder? Ich grusele mich. Hier bei uns in Thüringen wird in AfD-Chats schon sehr konkret benannt, wer am Tag X vertrieben werden soll. Da geht es um missliebige Menschen und dass sie am besten jetzt schon ihre Koffer packen.

Es gibt erschreckend viele weitere Beispiele für das, was die AfD plant. Björn Höcke will den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschaffen. Wenn wir es nicht verhindern, könnte er schon bald Gelegenheit dazu haben – in Thüringen mit dem nächsten Medienstaatsvertrag, der Ende dieses Jahres beschlossen werden soll. Pressefreiheit ist ein Grundrecht. Freie Medien sind eine Säule unseres Landes.

Im Landtag von Thüringen hat die AfD-Fraktion die Frage gestellt, wie viele Homosexuelle, Bi- und Transsexuelle, Transgender und intergeschlechtliche Menschen in Thüringen leben. Was wäre der nächste Schritt, Rosa Winkel-Pflicht?

Das hatten wir schon einmal. Meine Heimatstadt Weimar mit dem Blick nach Buchenwald steht für die Erinnerung daran. Auch diese Erinnerung will die AfD bekämpfen.

Es braucht jetzt uns, Demokratinnen und Demokraten. „Tun wir unsern Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind.“ Es beginnt auf den Straßen und Plätzen und muss bis in die Wohnzimmer gehen. An die Kaffeetafeln, auch wenn es den Familienfrieden stört.

Wir brauchen Gespräche über das, was wir wollen und was nicht weg darf. Wir müssen deklinieren, warum Menschenrechte so wichtig sind. Das wird viel Geduld brauchen, einen langen Atem und ganz viel Herzblut. Aber es ist alternativlos.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

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29.12.2023
Ulrike Greim