Trauergottesdienst für Wolfgang Schäuble

epd-bild/Rolf Zoellner

Trauergottesdienst für Wolfgang Schäuble
Gedanken zur Woche von Pastor Matthias Viertel
05.01.2024 - 06:35
29.12.2023
Pastor Matthias Viertel
Über die Sendung:

Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Mit einer Trauerfeier in der evangelischen Stadtkirche von Offenburg und anschließendem Trauerzug zum Friedhof nimmt die Öffentlichkeit heute Abschied von Wolfgang Schäuble. Der Gottesdienst wird ab 11 Uhr live im SWR-Fernsehen übertragen. So ein bisschen wird es dann in der Kirche zugehen wie im Bundestag, jener Stätte, an der Wolfgang Schäuble gewirkt hat. Denn neben den Worten der badischen Landesbischöfin Heike Springhart wird es eine Reihe weiterer Redebeiträge geben, von Freunden, Angehörigen und von Politikern. Ministerpräsident, Parteivorsitzender, Bürgermeister – viele haben sich angekündigt. Möglicherweise ist es die Mischung aus Kirche und Parlament, aus Glaube und Politik, die sein Leben treffend charakterisiert.

Keine Frage, Wolfgang Schäuble war eine beeindruckende Persönlichkeit. Über ein halbes Jahrhundert war er Mitglied des Bundestages, so lang wie kein anderer deutscher Politiker. Seit 1990 war er - als Folge eines Attentats – gelähmt und machte den Rollstuhl zum selbstverständlichen Requisit des Bundestags. In der ihm so eigenen humorvollen Art meinte er damals: „Im Grunde sind alle Menschen behindert, der Vorzug von uns Behinderten allerdings ist, dass wir es wissen.“ (1) Ohne viele Worte kam er damals zurück in die Politik, als gäbe es für ihn keine Alternative. Er war eben Vollblutpolitiker, leidenschaftlicher Parlamentarier und streitbarer Demokrat.

So konnte man ihn in den politischen Debatten erleben, und so lernte ich ihn mit der Zeit schätzen. Was mich dann aber erstaunte, war sein besonderes kirchliches Engagement. Denn er war nicht nur einfach Mitglied der Kirche, sondern setzte sich immer wieder mit theologischen Fragen auseinander. Trotz hoher Arbeitsbelastung fand er Zeit für seinen Glauben und sogar die Zeit, Gottesdienste zu besuchen.

Wolfgang Schäuble war Protestant und die theologische Diskussion war für ihn keinesfalls nur Nebensache. Sogar in einem Fachblatt für Pfarrerinnen und Pfarrer, der Zeitschrift Pastoraltheologie, veröffentlichte er einen lesenswerten Aufsatz. Darin zeigt er Sympathie für Martin Luther und für dessen Art, aus dem Gewissen heraus Entscheidungen zu treffen. Andererseits aber kritisiert er den „scharfen, konfrontativen Tonfall“ des Reformators. Damit sei Luther, so die Meinung Schäubles, verantwortlich für die Missachtung Andersdenkender und sogar verantwortlich dafür, dass „ins deutsche politische Denken … eine Art Freund-Feind-Denken“ Einzug gehalten habe.

Das ist eine starke Kritik, die ernst zu nehmen ist. Und doch wäre es ein Missverständnis, Schäuble zum Fürsprecher eines unpolitischen Christentums zu machen. Ganz im Gegenteil: Er, der christlich ausgerichtete Politiker, wollte durchaus politisch denkende Christen. Aber die Reihenfolge war ihm wichtig. Gerade wenn der Glaube politisch wirkt, müsse der Ausgangspunkt die religiöse Haltung sein. Ohne diese Grundhaltung, aus der ein tiefer Glaube spricht, wird, so Schäuble, „die bestgemeinte politische Programmatik schal und ihr selbstgestecktes Ziel bleibt unerreicht“.

Für ihn war es wichtig, den Unterschied zwischen dem religiös denkenden Politiker und dem politisch ausgerichteten Theologen nicht aus dem Auge zu verlieren. Denn schließlich, so sagte er zugespitzt, ist „nicht jede politische Frage, um die gerungen wird, ein Reichstag zu Worms“.

Noch am Heiligen Abend, zwei Tage vor seinem Tod, hat Wolfgang Schäuble die Kirche besucht, in der heute die Trauerfeier stattfindet. Er war dort gern gesehen und beliebt wegen seines subtilen Humors und seiner unerschöpflichen Hoffnung. Dazu gehört auch eine Empfehlung, die schon etwas zurückliegt, aber aktuell wirkt: „Vielleicht“, so formulierte Wolfgang Schäuble, „vielleicht müssen wir uns mit einer Erkenntnis aus der Bibel anfreunden, wonach auf fette Jahre auch mal magere folgen. Auch daraus kann man Optimismus schöpfen.“ (2)

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Literaturangaben:

  1. www.welt.de/politik/deutschland/article249249930/Wolfgang-Schaeuble-Am-28-24-Uhr-isch-over-Zitate-und-Weisheiten-des-Politikers.html.
  2. Stuttgarter Zeitung, Ausgabe Landkreis Ludwigsburg Nr. 40/2009, vom 18. Februar 2009, S. 5.

Quellen:

3. Wolfgang Schäuble: Das Reformationsjubiläum 2017 und die Politik in Deutschland und Europa. In: Pastoraltheologie (Heft 1) 2016. S. 44 © Vandenhoeck & Ruprecht.

4. https://www.ekd.de/news-2016-02-08-8-schaeuble-protestantismus-6498.htm.

5. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/wolfgang-schaeuble-kritisiert-politisierung-der-protestanten-14079994.html.

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29.12.2023
Pastor Matthias Viertel