TV-Tipp: "Verschollen"

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12.11., ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Verschollen"
Nicht alles, was auf den ersten Blick dem Schutz der Umwelt dient, ist auch wirklich nachhaltig; aber diese Erkenntnis vermittelt Daniel Harrich erst sehr viel später.

Da ist der unfreiwillige Held dieser Geschichte längst in Lebensgefahr geraten: Klemens Stadler hat sich mit mächtigen Gegnern eingelassen, die für ihren Profit zur Not über Leichen gehen. Der Ingenieur, seit kurzem in Rente, ist als Figur gleichermaßen typisch und untypisch für einen Thriller des Regisseurs: einerseits ebenso furchtlos wie viele seiner Vorgänger, andererseits jedoch im Gegensatz etwa zu dem idealistischen Sozialdemokraten, der in Harrichs letzter Arbeit ("Am Abgrund", 2024) einem Korruptionsskandal unvorstellbaren Ausmaßes auf die Spur kam, ein Außenseiter, der sich im Grunde gar nicht für die Rahmenbedingungen interessiert; Klemens Stadler will einzig und allein seinen Sohn lebendig wieder mit nach Hause nehmen. Der Handlungskern von "Verschollen" erinnert daher an Filme wie "Macht euch keine Sorgen" oder "Für meine Tochter" (beide 2018), in denen Väter ins syrische Kriegsgebiet reisten, um ihre Kinder zu retten. 

Nach einer Einführung, die vor allem betont, wie wenig Klemens (Axel Milberg) und Jan (Max Hubacher) sich noch zu sagen haben, erhält der Vater einen Hilferuf seines Sohnes aus Brasilien, doch der Anruf bricht ab, bevor der junge Umweltwissenschaftler erklären kann, worum’s geht; anschließend ist er nicht mehr zu erreichen. Klemens, maßgeblich am Bahnprojekt "Stuttgart 21" beteiligt und gerade erst bei einer rauschenden Feier in die Rente verabschiedet worden, fährt zur Frankfurter Weltbankfiliale. Die unter anderem für Entwicklungspolitik zuständige Einrichtung, informiert ihn die dortige Projektleiterin (Julia Koschitz), finanziert gemeinsam mit anderen Institutionen eine Klimaschutzinitiative am Amazonas. Weil die Weltbank jedoch keinerlei politischen Einfluss hat, bleibt Klemens nichts anderes übrig, als selbst nach Brasilien zu fliegen; und jetzt geht die Geschichte erst richtig los. 

Harrich dominiert hierzulande seit vielen Jahren das Genre des investigativen Thrillers und ist auf diese Weise seit seinem Film über das Oktoberfestattentat im Jahr 1980 ("Der blinde Fleck", 2013) zum Chronisten der deutschen Zeitgeschichte geworden: Mit "Meister des Todes" (2015/2020) hat er fragwürdige deutsche Waffenlieferungen in Krisenregionen angeprangert, "Gift" (2017) handelte vom milliardenschweren Handel mit gefälschten Medikamenten, in "Saat des Terrors" (2018) beschrieb er, wie westliche Geheimdienste den islamistischen Terrorismus groß gemacht haben. In "Bis zum letzten Tropfen" (2022) befasste er sich mit der kurzsichtigen Verscherbelung von Wasserrechten, "Am Abgrund" war durch die 2023 unter der Bezeichnung "Katargate" ans Licht gekommenen Korruption im Europäischen Parlament inspiriert. 

Mit "Verschollen" widmet sich Harrich einem völlig anderen, aber nicht minder brisanten Thema. Im Rahmen des Projekts "Treeplant" werden am Amazonas riesige Eukalyptus-Plantagen angelegt. Die Bäume entziehen der Luft CO2, dafür gibt es Zertifikate, die wiederum an Konzerne verkauft werden. Die Begeisterung, mit der Kurt Winkler, der deutsche Verantwortliche (Benjamin Sadler), das Projekt schildert, lässt keinen Zweifel an der Nützlichkeit der Initiative. Jan sollte dem Projekt im Auftrag einer unabhängigen Umweltorganisation bescheinigen, dass internationale Standards (Klimaschutz, Menschenrechte) eingehalten werden. Der Überzeugungskraft Winklers zum Trotz beschleichen Klemens erste Zweifel, als er erfährt, dass die Einheimischen weichen müssen, damit Platz für die Bäume ist. Jan war allerdings, wie sich zeigt, einem noch einem weit größeren Skandal auf der Spur, und die deutsche Schwerindustrie spielt dabei eine mehr als unrühmliche Rolle; es geht um viele Milliarden. 

Angesichts des komplexen Hintergrunds gibt es eine Menge Erklärungsbedarf, den Harrich jedoch geschickt verpackt, zumal Klemens natürlich wissen will, womit sich sein Sohn befasst hat. Unterstützung erhält er von einer Anwältin, die sich für die Belange der indigenen Bevölkerung engagiert. Als der Vater schließlich rausfindet, was sein Sohn entdeckt hat, droht ihm das gleiche Schicksal. Axel Milberg steht regelmäßig für Harrich vor der Kamera, gern auch mal als Gegenspieler, aber natürlich ist er als sorgenvoller Vater eine nicht minder ausgezeichnete Besetzung. Gleiches gilt für Benjamin Sadler als lange Zeit undurchsichtiger Gegenspieler. Die Bildgestaltung (Harrichs Vater Walter) ist ausgezeichnet. Im Anschluss zeigt die ARD eine Doku über die "schmutzigen Geschäfte mit dem Klimaschutz".