TV-Tipp: "Gesicht der Erinnerung"

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8. Februar, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Gesicht der Erinnerung"
Manchmal ist die Verpackung das eigentliche Geschenk. Für Filme gilt das mitunter auch. Die Handlung dieses vor allem gestalterisch und konzeptionell äußerst anspruchsvollen Werks von Dominik Graf lässt sich in einem Satz zusammenfassen.

Eine Frau glaubt, in einem jungen Mann ihren vor vielen Jahren verstorbenen Geliebten wiederzuerkennen. Das klingt nach einem Mystery-Stoff, aber Drehbuchautor Norbert Baumgarten hat daraus eine Liebesgeschichte gemacht.

Sie beginnt eines Nachts, als die Salzburger Physiotherapeutin Christina (Verena Altenberger) den letzten Bus verpasst und von Teenager Patrick (Alessandro Schuster) nach Hause gebracht wird. Er verbringt die Nacht zwar mit ihrer WG-Mitbewohnerin, aber die deutlich ältere Frau geht ihm nicht mehr aus dem Kopf. Schließlich hat sein hartnäckiges Werben Erfolg, die beiden werden ein Liebespaar, doch dann empfindet Patrick ihr Verhalten zunehmend als unheimlich: Christina ist mehr und mehr überzeugt, er sei der wiedergeborene Jacob (Florian Stetter), der vor zwanzig Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist; Patrick ist damals ein paar Tage später nur wenige Kilometer vom Unfallort entfernt zur Welt gekommen. 

Es sind viele Arten vorstellbar, wie sich dieser Stoff umsetzen ließe; auch als Psychothriller, denn Christina ist in Behandlung, nimmt Psychopharmaka und gesteht ihrem Therapeuten (Tyron Ricketts), sie habe manchmal das Gefühl, dass sich fremde Gedanken in ihr Bewusstsein drängten. Baumgarten und Graf haben sich für einen Mittelweg entschieden: "Gesicht der Erinnerung" ist sowohl Romanze als auch Psychogramm. Ähnlich wie in der griechischen Sage vom antiken Bildhauer Pygmalion versucht Christina, Patrick nach dem Vorbild Jacobs zu modellieren, was den jungen Mann verständlicherweise irritiert, schließlich möchte jeder Mensch um seiner selbst Willen geliebt werden und nicht als Projektionsfläche dienen. 

Dramen und Krimis von Dominik Graf, mit Film- und Fernsehpreisen vermutlich so häufig ausgezeichnet wie kein anderer Regisseur, sind grundsätzlich nie gewöhnlich. Das gilt auch für seine Umsetzung von Baumgartens Drehbuch. Allein die ersten zehn Minuten sind eine Kaskade, die mit kapriolenartigen Zeitsprüngen wie eine Ouvertüre viel von der Handlung vorwegnimmt. Das ist zwar verwirrend, aber auch faszinierend. Die Bildgestaltung (Hendrik A. Kley) ist ohnehin preiswürdig, zumal die Farbgebung einen reizvollen Kontrast zur sonst üblichen düsteren Dramenatmosphäre bildet; die Aufnahmen sind teilweise bonbonbunt. Schlicht, aber wirkungsvoll ist auch ein optischer Effekt, als die Szenerie bei einem Stelldichein von Jacob und Christina im Wald innerhalb eines Wimpernschlags vom Tag zur Nacht wird. Die Erinnerungen der Frau wiederum wirken gelegentlich wie der Blick durch ein schmutziges Fenster. 

Endgültig sehenswert wird das Werk durch die Auswahl der Mitwirkenden. Mit Verena Altenberger hat Graf schon zwei "Polizeiruf"-Episoden aus München gedreht ("Die Lüge, die wir Zukunft nennen" und "Bis Mitternacht", 2019/21); sie versteht es wie nur wenige andere, ihr Schauspiel derart natürlich erscheinen zu lassen, dass es wie gelebt und nicht wie gespielt wirkt. Anstatt zu versuchen, aus der 1987 geborenen Österreicherin mit Hilfe des Maskenbilds eine 16-Jährige zu machen, was nur selten glaubwürdig ausfällt, hat Graf die junge Christina mit Altenbergers Schwester Judith besetzt. Entscheidender ist allerdings die Vergabe der zweiten Hauptrolle an Alessandro Schuster. Der Berliner ist zwar erst Anfang zwanzig und kaum bekannt, hat aber dank diverser Gastauftritte in unterschiedlichsten TV-Serien bereits eine umfangreiche Filmografie zu bieten. In Grafs Film kann er sich zudem als Musiker und Sänger profilieren: Patrick hat eine Band, deren Auftritte gar nicht schlecht sind. Das Liebeslied, mit dem er Christina zu Beginn becircen will, findet sie zwar kitschig, aber bei einem in der Tat mitreißenden Konzert ist es um sie geschehen. 

Eine heitere Romanze wird "Gesicht der Erinnerung" trotzdem nicht, weil sich Patrick in der ihm zugedachten Rolle zunehmend unwohl fühlt und die Beziehung schließlich beendet. Für einen Sinneswandel sorgt die Haushälterin seiner schwerreichen Eltern, die ihn einst wie ihren eigenen Sohn großgezogen hat. Sie erzählt ihm von längst vergessenen Begebenheiten in seiner Kindheit, die ihm erheblich zu denken geben. Das Drama endet zwar dennoch tragisch, aber immerhin sorgen Graf und Baumgarten für einen versöhnlichen Schluss.