TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Einer von uns"

Fernseher vor gelbem Grund
© Getty Images/iStockphoto/vicnt
3. Dezember, NDR, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Einer von uns"
Der "Polizeiruf" aus Rostock hat ihn zum Star gemacht: Zwischen 2010 und 2022 stand Charly Hübner 24 mal gemeinsam mit Anneke Kim Sarnau als Sascha Bukow vor der Kamera. Der NDR widmet ihm nun vier Stunden Krimi-Sendezeit am Stück.

Der Abend beginnt um 20.15 Uhr mit dem ersten Fall ("Keiner von uns"). Anschließend folgt ein erstmals ausgestrahltes Porträt ("Charly Hübner – mit voller Kraft und Leidenschaft"), ehe um 22.45 Uhr Bukows Abschied ("Keiner von uns") die Hommage beschließt. 

Als der NDR vor gut zwölf Jahren die Konzeption des neuen Teams Eoin Moore anvertraute, war das von außen betrachtet ziemlich mutig: Der gebürtige Ire hatte zwar bereits den einen oder anderen Sonntagskrimi gedreht, galt aber nicht nur wegen seiner Beiträge fürs "Kleine Fernsehspiel" als Kunstfilmer. Angesichts des Ergebnisses gab allerdings umgehend keine Bedenken. Der Entwurf Moores, der als Chefautor für die ersten Episoden fungierte, ist rundum gelungen, zumal er im Unterschied zu den anderen "Tatort"- und "Polizeiruf"-Strukturen eine klare Maxime gesetzt hat: Hauptfiguren sind nicht die jeweiligen Episodengäste, sondern die Ermittler. Das Team hat es schon allein wegen einer reizvollen Freund/Feind-Konstellation in sich: Bukow ist auf eigenen Wunsch von Berlin nach Rostock versetzt worden. Was er nicht ahnt: Kollegin Katrin König (Sarnau) ist LKA-Analytikerin und soll ihm auf die Finger schauen. Der Kriminalhauptkommissar hat in Berlin gegen die Balkan-Mafia ermittelt, ist aber überraschend ausgestiegen; nun hängt ihm der Verdacht an, die Seite gewechselt zu haben. 

Das stimmt sogar, allerdings in ganz anderer Richtung, und das ist der zweite große Reiz dieser Figur: Bukow ist Rostocker und kennt sich bestens im Milieu aus, weil er daherstammt. Als er auf die schiefe Bahn zu rutschen drohte, nahm sich ein Kommissar seiner an und überzeugte ihn, zur Polizei zu kommen. Dieser Mann ist heute Bukows Chef (Uwe Preuss). Ergänzt wird das Ensemble durch den früheren SEK-Beamten Pöschel (Andreas Guenther), der gern mal übers Ziel hinausschießt, und den Drogenfahnder Thiesler (Josef Heynert). Bukow und König stehen aber natürlich im Zentrum, zumal der bullige Hübner und die drahtige Sarnau ein reizvoll gegensätzliches Team bilden. 

Kein Wunder, dass der eigentliche Fall zum Auftakt ein bisschen zu kurz kommt, auch wenn Moore die Geschichte jederzeit fesselnd inszeniert: Nach dem Tod einer 13jährigen, die an der Überdosis einer Partydroge gestorben ist, sucht das Rostocker Team fieberhaft nach ihrer Freundin. Deren Vater gerät in Verdacht, als die Kripo-Beamten feststellen, dass das tote Mädchen offenbar in ihn verliebt war. Als auch ihre Freundin tot aufgefunden wird, konzentrieren sich die Ermittlungen auf einen russischen Dealer. Dabei liegt die Wahrheit viel näher. Eine Bildgestaltung (Bernd Löhr), die viel mit Handkamera arbeitet und mitunter hautnah an den Ermittlern klebt, und die von rockigem Schlagzeug geprägte Musik sorgen dafür, dass "Einer von uns" optisch und akustisch an den richtigen Stellen ungemein dynamisch wirkt. 

Zwölf Jahre später schließt sich der Kreis, wie schon der clevere Titel "Keiner von uns" andeutet. Womöglich hat Moore schon damals damit gerechnet, dass dieser Tag irgendwann kommen würde. Im Rückblick hat es tatsächlich den Anschein, als sei der Abschied von langer Hand geplant, denn der Film knüpft an die Ereignisse aus den Auftaktfolgen an: Wie ein Dämon aus der Vergangenheit taucht der serbische Mafia-Pate Subocek Subocek aus der Versenkung auf, und schon allein dieses Wiedersehen ist ein kleiner Knüller, zumal der charismatische Aleksandar Jovanovic ein begnadeter Schurkendarsteller ist: Der Gangster hat seine Haftstrafe verbüßt und will König von Rostock werden. Rechtsextremistische Verbrecher haben allerdings den gleichen Plan. Erstes Opfer des Milieukriegs ist der Mann, der gewissermaßen kommissarisch die Geschäfte von Bukow senior übernommen hat. Dringend tatverdächtig ist zunächst jedoch ein Musiker, dem "Ärzte"-Mitglied Bela B. Felsenheimer mit spürbarer Freude die Attitüde eines gealterten Rockstars verleiht. 

Endgültig zu einem Fest für alle Fans von Bukow und König wird "Keiner von uns", weil es einen weiteren Wiedergänger gibt. In der Episode "Für Janina" (2018, ebenfalls von Moore) hat das Duo einen dreißig Jahre alten Mordfall aufgerollt. Weil der Täter zu DDR-Zeiten freigesprochen worden war, durfte er nicht erneut angeklagt werden; also hat König dafür gesorgt, dass er wegen eines anderen Mordes verurteilt wurde. Subotec weiß nicht nur von Königs Manipulation, er kann sie auch beweisen. Will Bukow verhindern, dass die Kollegin ins Gefängnis muss, bleibt ihm nichts anderes übrig, als erneut für Subocek zu arbeiten. 

Diese Ebene allein böte bereits genug Stoff für eine tolle Geschichte, aber tragisch wird die Sache, weil sich Bukow und König im letzten Film ("Sabine", 2021) endlich zu ihrer gegenseitigen Zuneigung bekannt haben. In einer verblüffend romantischen Szene macht sie ihm gar einen Heiratsantrag. Aller Liebe zum Trotz ist aber auch diese Episode von jenem Misstrauen geprägt, das sich mehr oder weniger durch die ganze Reihe gezogen hat: weil Bukow nicht alle Karten auf den Tisch legt. Das Drehbuch, bei dem Moore wie schon bei "Für Janina" erneut mit Anika Wangard zusammengearbeitet hat, treibt also auf die Spitze, was stets den besonderen Reiz der Rostocker Krimis ausgemacht hat: Der im Milieu aufgewachsene Polizist stand immer mit einem Fuß in der Unterwelt, und das nicht nur als Ermittler; ständig stritten Engel und Teufel in seiner Brust. Vater Veit, sagt der später ermordete Clubbesitzer Tito zu Beginn, habe immer gehofft, dass Sohn Sascha doch noch "auf die richtige Seite" wechseln werde. Für den Teufel in ihm ist daher klar, dass es nur einen Weg gibt, um das Problem Subocek ein für alle Mal aus der Welt zu räumen.