Bitte mehr Nähe!

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evangelisch.de-Redaktionspfarrer Frank Muchlinsky ist unterwegs in der Königsstraße am Schlossplatz und erzählt von seinen Erlebnisse auf dem Katholikentag in Stuttgart.
Katholikentag in Stuttgart
Bitte mehr Nähe!
Der Katholikentag fühlt sich leer an. evangelisch.de-Redaktionspfarrer Frank Muchlinsky erzählt von seinen Eindrücken aus Stuttgart.

Stuttgart ist schön, Stuttgart ist besonders. Eine Stadt, in der es einen Friedhof gibt, den man über eine Seilbahn erreicht, ist mir grundsätzlich sympathisch. Ich erlebe die Menschen hier regelmäßig als hilfsbereit und freundlich. Wenn Kirchen- oder Katholikentag ist, wird die Zahl der freundlichen Menschen noch einmal erhöht, so dass es einfach schön ist, hier im linden Mai vier Tage zu verbringen, in denen auch noch ein anregendes Programm lockt. Aber der erste Katholikentag nach den Corona-Einschränkungen hat auch seine Schwächen.

Zunächst ist auffallend, wie wenige Menschen insgesamt teilnehmen. Mein Radio vermutet die wachsende Bedeutungslosigkeit der Kirche und den allgemeinen Ärger über die Skandale er katholischen Kirche als Grund, aber das allein reicht nicht aus zu erklären, wie wenig in der Stadt los ist. Die U-Bahnen sind sämtlich pünktlich und weitgehend leer. Leider gilt das auch für viele Veranstaltungen, die mit deutlich weniger Teilnehmenden stattfinden müssen, als die Veranstaltungsort hergeben würden. Ich frage mich kurz, ob das wohl beabsichtigt ist. Als der Katholikentag geplant wurde, war Corona noch das alles beherrschende Thema. Es galt: Sicherheit und Abstand zuerst! Das würde erklären, dass man lieber große Hallen mit wenig Menschen füllen wollte.

Der Autor mit goldenen Flügeln bei der Aktion, die Gold aus alten Handys sammelt.

Es würde ebenfalls erklären, warum die Kirchenmeile (für protestantische Lesende: Das ist die katholische Version des "Marktes der Möglichkeiten" auf dem Kirchentag) sich über so viele Meilen erstreckt. Die einzelnen Organisationen, die sich hier vorstellen sind über das gesamte Gebiet der Innenstadt verteilt. Auf diese Weise sind die Standorte ausgesprochen unterschiedlich attraktiv. Während sich zum Beispiel die Sammelaktion für Althandys mit ihren goldenen Engelsfedern wundervoll am Schlossplatz in Szene setzen konnte, hatten die Pavillons aller Organisationen aus der Abteilung Ökumene so gut wie keine Laufkundschaft, weil wie vor der Liederhalle standen und man an ihnen nicht einmal vorbeimusste, wenn man in die Liederhalle wollte. Andere Standorte waren noch weniger attraktiv.

Eine Außenstelle der "Kirchenmeile" auf dem Katholikentag.

Es ist schwer, in Pandemiezeiten zu planen. Der Frankfurter Kirchentag 2021 war bereits ein Beispiel dafür, dass man eine Massenveranstaltung, die von der Begegnung lebt und von der Fülle und Nähe und bisweilen Enge eben nicht mit Anstand auf Abstand umwandeln kann. In Stuttgart sind die Regeln mittlerweile lockerer. In den Veranstaltungsräumen herrscht keine Maskenpflicht mehr, und auch die Stühle stehen wieder enger. Nur bleiben eben viele Stühle leer, und das liegt eben daran, dass viele zu Hause bleiben. Es herrscht weiterhin Verunsicherung. Menschenmengen sind für viele Leute anscheinend weiterhin unbehaglich. Das ist verständlich, aber es ist eben auch ein Stimmungsdämpfer.

Dennoch gibt es Begegnungen. Einige davon sind gerade dadurch spannend, dass man Menschen gegenübersteht, die man bislang nur aus der digitalen Welt kannte. Veranstaltungsformate, die es bisher nur digital gab, werden hier in Stuttgart zum ersten Mal im physischen Raum durchgeführt. Ein Beispiel hierfür ist "Kaffee und Kunsten", eine spielerisch-kreativer Umgang mit spirituellen Themen, der in der Pandemie für die Begegnung im digitalen Raum entstanden ist. Nun ist man beisammen, trinkt denselben Kaffee und sieht einander zu, wie die kreativen Impulse umgesetzt werden. Und dann entsteht doch etwas von diesem besonderen Miteinander, das durch die körperliche Anwesenheit und Nähe befördert wird und das Kirchen- und Katholikentage ausmacht.

Der Autor Frank Muchlinsky beim Betrachten des Himmels durch ein Loch im Papier.

Massenveranstaltungen brauchen die Nähe und die Enge. Man kann auch 20.000 Menschen das Gefühl geben, eine große Menge zu sein, nur darf der Platz dann nicht zu groß sein. Sollte es tatsächlich der allgemeine Unmut über die Kirche ein, der die Leute davon abhielt, den Katholikentag zu besuchen, dann sollten als Konsequenz daraus kleinere Städte als Austragungsorte ausgesucht werden. Und wenn die nächste Pandemieeinschränkungen kommen, sollte man sich etwas anderes einfallen lassen, als die Abstände größer zu machen. Die, die nach Stuttgart gekommen sind, wollen Nähe.