TV-Tipp: "37 Grad: Hass, Hetze, Gewalt"

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3. Mai, ZDF, 22.15 Uhr
TV-Tipp: "37 Grad: Hass, Hetze, Gewalt"
Zunächst sind es nur Worte, aber irgendwann folgen den Worten Taten: Als Walter Lübcke, Regierungspräsident des Bezirks Kassel, im Sommer 2019 auf der Terrasse seines Hauses erschossen wurde, war dies der erste Mord an einem deutschen Politiker der Nachkriegszeit.

Wirklich überraschen konnte die Tat nicht, zumal es schon vorher verschiedene politisch motivierte Attacken gegeben hatte, etwa auf Henriette Reeker, die 2015 am Tag vor ihrer Wahl zur Kölner Bürgermeisterin Opfer eines Messerangriffs wurde; oder auf Andreas Hollstein, Bürgermeister von Altena (NRW), der 2017 in einem Imbiss in der Nähe seiner Wohnung wegen seiner Flüchtlingspolitik angegriffen worden ist.

Gemeinsam mit René Wilke, Oberbürgermeister von Frankfurt/Oder, und Ricarda Lang, Bundesvorsitzende und frauenpolitische Sprecherin der Grünen, berichtet Hollstein in der "37 Grad"-Reportage "Hass, Hetze, Gewalt" über seine Erfahrungen mit Beleidigungen und Bedrohungen in digitalen Netzwerken, die irgendwann in die analoge Realität überschwappen.

Anders als die beiden Kollegen ist Lang noch vergleichsweise jung. Außerdem ist sie eine Frau; die meisten Hasskommentare sind daher nicht nur sexistisch, sie beziehen sich auch auf ihr Erscheinungsbild. Politikerinnen werden deutlich häufiger zur Zielscheibe von Hassbotschaften; ihr Erfolg passt offenbar nicht ins Weltbild der mutmaßlich männlichen Schreiber. Mit Gegenwind, erzählt Lang, habe sie gerechnet, als sie in die Politik gegangen sei; aber nicht mit einer derartigen Hetze.

Ihren ersten "Shitstorm" erlebte die heute 28-jährige Schwäbin, als sie einen Klimapass für Flüchtlinge forderte, die wegen des Klimawandels ihre Heimat verlassen müssen. "Das macht was mit einem": weil automatisch eine Art Schere im Kopf entstehe. Man fühle sich, als stehe man vor einer Mauer, die immer größer werde, während man selbst immer kleiner wird, aber "Angst ist Gift für eine lebendige Demokratie". Im vergangenen Jahr, als sie erstmals für den Bundestag kandidierte, hat sie einen interessanten Weg gefunden, auf die Beleidigungen zu reagieren: Sie hat sie in ihren Wahlkampf integriert.

Auch Wilke, Mitglied der Partei Die Linke, geht gern in die Offensive. Wer politisch pöbelt, tut das meist im Schutz der Anonymität, aber wenn jemand seine Beleidigungen namentlich signiert, kann es vorkommen, das Wilke unangemeldet vor der Haustür steht. Die Gespräche, berichtet er, endeten oft überraschend versöhnlich.

Hollstein (CDU) hat nach der Messerattacke ebenfalls nicht klein beigegeben. Er wollte sich weder einschüchtern lassen noch seine Bewegungsfreiheit einschränken, obwohl es Morddrohungen vom sogenannten NSU 2.0 gegeben und er in der Folgezeit psychische Probleme hatte. Wie bei Reeker war auch der Angriff gegen ihn fremdenfeindlich motiviert. Bedrohliche Post hatte er schon vorher bekommen, aber als Bürgermeister einer Kleinstadt nie so recht ernst genommen: "Was soll schon passieren!?" – und dann geschah es doch; allein das mutige Eingreifen des Imbissbetreibers hat Schlimmeres verhindert.

Wilke hat Ähnliches erlebt, als angetrunkene Rechtsextremisten ihn auf offener Straße attackierten und sich couragierte Mitmenschen schützend vor ihn stellten. Beide Politiker schildern, dass auch ihre Familien nicht verschont bleiben. Beleidigungen oder Exkremente vor der Tür seien zwar, wie es Wilke salopp formuliert, "nicht so prickelnd", aber wenn es in einem Brief heißt, "Wir wissen, wo deine Kinder zur Schule gehen", lässt sich das nicht mehr mit einem Achselzucken abtun: "Das ist der schlimmste Teil." Alle drei verstehen nicht, warum so viel Wut entstehen kann, nur weil jemand öffentlich eine andere politische Auffassung vertritt.

Seit Lang die Vorsitzende ihrer Partei ist, hat sich die Zahl der Schmähungen noch erhöht, aber auch die Zahl der Solidaritätsbekundungen von Mitgliedern anderer Parteien: Gegen die Feinde der Demokratie müssen alle Demokratinnen und Demokraten zusammenstehen. Und so wäre dieser Film ein höchst lobenswertes Beispiel für eine respektable und entsprechend vorbildliche "37 Reportage", wenn Autorin Anja Michaeli bei der optischen Umsetzung etwas einfallsreicher vorgegangen wäre. Handwerklich ist ihr Beitrag mit seinen abgesetzten Off-Aussagen, während die Menschen vor der Kamera sinnend in die Ferne blicken, höchst konventionell.