TV-Tipp: "Neben der Spur: Die andere Frau"

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31. Januar, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Neben der Spur: Die andere Frau"

Wenn sich ein vermeintlich harmloser Nachbar als Verbrecher entpuppt, sagen die Menschen meist: "Das hätte ich nie für möglich gehalten." Dabei gilt die Erkenntnis, dass Abgründe oft in unmittelbarer Nähe lauern, nicht zuletzt für die eigene Familie.

Als sein Vater nach einem Treppensturz ins Krankenhaus eingeliefert wird, muss der Hamburger Psychiater Joe Jessen (Ulrich Noethen) gleich zwei Schocks verdauen: Der alte Herr liegt im Koma, und bei der Frau, die als sorgenvolle Gattin an seinem Bett wacht, handelt es sich keineswegs um Joes Mutter; Olivia Schwartz (Aglaia Szyszkowitz) versichert dennoch, mit Conrad Jessen (Dietrich Hollinderbäumer) verheiratet zu sein.

Joe ist überzeugt, dass die Frau eine Schwindlerin ist, muss allerdings feststellen, dass er über das Leben seines Vaters, zu dem er nur noch sporadisch Kontakt hatte, nicht viel weiß. Fortan erinnert die Handlung an die Fabel von Hase und Igel. Ganz egal, wohin ihn seine Nachforschungen führen: Olivia ist schon da. Je mehr er über die Frau erfährt, desto größer wird seine Überzeugung, dass sie eine Schwarze Witwe und Jessen senior nicht ihr erstes Opfer ist. Da passt es ins Bild, dass sich der neue Freund von Tochter Lotte (Lilly Liefers) als Olivias Sohn aus erster Ehe entpuppt.

Die ZDF-Reihe "Neben der Spur" basiert auf den Romanen des Australiers Michael Robotham. Die Autoren haben das Personal und die Grundzüge der jeweiligen Geschichten übernommen, aber die Adaptionen erfolgen zum Teil recht frei. Charakteristisches Merkmal der Bücher wie auch der Filme ist die psychologische Komponente. Sie macht den besonderen Reiz der Reihe aus; und der Hauptdarsteller.

Die herausragenden Qualitäten von Ulrich Noethen müssen längst nicht mehr eigens betont werden, aber seine Verkörperung des an Leib und Seele versehrten Psychiaters, der an Parkinson erkrankt ist und seine Frau verloren hat, ist regelmäßig preiswürdig. Die besten Filme waren ohnehin jene, in denen Jessen persönlich betroffen ist. Das gilt für "Die andere Frau" selbstredend in besonderem Maß. Joe stellt fest, dass Olivia die Wahrheit sagt: Sein Vater führt seit zwanzig Jahren ein Doppelleben. Der Gattin (Barbara Focke) ist das sicher nicht verborgen geblieben, aber sie hat es vorgezogen, den Schein zu wahren.

Als sich rausstellt, dass Conrad zu ihr zurückkehren wollte, scheint der Fall klar, zumal Olivia zwischenzeitlich auch in der Jessen-Stiftung, die ein beträchtliches Vermögen verwaltet, die Fäden zieht. Sie ist nicht nur im Besitz einer Generalvollmacht, sondern auch von Conrads Patientenverfügung; und nun will sie die lebenserhaltenden Maßnahmen beenden.

Die Krimihandlung ist interessant, aber sehenswert wird dieser achte Film der Reihe vor allem durch die geschickt mit der Gegenwart verknüpfte Kindheit des Psychiaters. Die Bigamie ist bei weitem nicht der einzige Makel auf dem vermeintlich porentief reinen Arztkittel des angesehenen Chirurgen. Weil Joe den Vater nun mit anderen Augen sieht, erscheinen auch seine Erinnerungen in neuem Licht. Optisch ist das durchaus wörtlich zu verstehen: Regisseur Josef Rusnak, der wie schon beim letzten Film das Drehbuch geschrieben hat, hat die entsprechenden Rückblenden gemeinsam mit Kameramann Peter Joachim Krause in eine verklärende Beleuchtung wie aus der Margarinewerbung getaucht.

Schlüsselszene in dieser Hinsicht ist eine Parallelmontage, in der der erwachsene Joe durch sein Elternhaus streift und ihm ein Geburtstagsfest in den Sinn kommt: Als er sich damals in der Waschküche verstecken wollte, hat er Conrad beim Seitensprung ertappt. Das Leben, zitiert er gegen Ende seinen Vater, "überrascht einen immer wieder".

Handwerklich imponiert "Die andere Frau" neben Bildgestaltung und Lichtarbeit zudem durch ein ausnahmslos gut geführtes Ensemble; dazu gehört nicht nur der wie stets sehr präsente Juergen Maurer als Kommissar Ruiz, sondern erstmals auch Nele Mueller-Stöfen als Jessens Therapeutin. Gleichfalls vortrefflich ist die Musik, weil es Christoph Zirngibl mit seiner klassischen Thriller- Komposition gelingt, die Kernfrage des Films in der Schwebe zu halten: Ist Joe dabei, ein raffiniertes Komplott aufzudecken, oder ist das alles bloß ein Hirngespinst? Inhaltlich fesselt der Film auch durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Übervater: Conrad Jessen war stets enttäuscht, dass der Sohn kein "richtiger" Arzt, sondern "nur" Psychiater geworden ist; Joe wiederum sagt, er habe seine Karriere "trotz, nicht wegen ihm" gemacht.