Paritätischer startet Kampagne gegen Hartz IV-Sanktionen

Paritätischer startet Kampagne gegen Hartz IV-Sanktionen
Mit einer bundesweiten Plakatkampagne wollen der Paritätische und die Initiative Sanktionsfrei mit Vorurteilen gegenüber Hartz-IV-Beziehern aufräumen. Auch fordern sie die Abschaffung von Sanktionen und einen Regelsatz von mindestens 600 Euro.

Berlin (epd). Der Paritätische Gesamtverband hat gemeinsam mit der Initiative Sanktionsfrei eine Kampagne zur Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen und für eine Anhebung der Regelsätze auf mindestens 600 Euro gestartet. Auf Großplakaten, die in den nächsten zehn Tagen bundesweit unter anderem an S- und U-Bahnhöfen aushängen, sollen unter dem Motto "HartzFacts" zudem Vorurteile gegenüber Hartz-IV-Beziehern ausgeräumt werden, kündigten die beiden Organisationen am Dienstag in Berlin an.

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, Ulrich Schneider, kritisierte die Pläne des Bundesarbeitsministeriums zur Neuregelung der Regelsätze zum 1. Januar 2021 "als absolut unzureichend". Demnach soll der Regelsatz für Singles von derzeit 432 auf dann 439 Euro ansteigen. Für Jugendliche ist ein Anstieg von 328 auf 367 Euro, für Kinder unter sechs Jahren von 250 auf 279 Euro vorgesehen. Der Bundestag will im Oktober darüber entscheiden.

Tatsächliche Bedürfnisse und der Alltag der Menschen spielten bei der Festlegung der Regelsätze niemals eine wirkliche Rolle, kritisierte Schneider: "Die im statistischen und ministeriellen Elfenbeinturm kreierten Regelsätze gehen regelmäßig ganz bewusst und in voller Absicht an jeder Alltagswirklichkeit und Lebenserfahrung vorbei."

Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Paritätischen vom März 2020 gehe nicht einmal jeder Fünfte davon aus, dass ein Single mit 439 Euro im Monat seinen Lebensunterhalt bestreiten könne, sagte Schneider. Die breite Mehrheit nenne Beträge über 600 Euro. Im Durchschnitt gäben die Befragten 728 Euro als notwendig an. Das seien 66 Prozent über dem geplanten Regelsatz. Schneider appellierte an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), "auf das Kleinrechnen der Regelsätze" endlich zu verzichten.

Auch Vorurteile gegenüber Hartz-IV-Beziehern in der Bevölkerung seien laut der Forsa-Umfrage nach wie vor weit verbreitet, hieß es weiter. So glaubten 45 Prozent der Befragten, dass Hartz-IV-Bezieher bei der Job-Auswahl zu wählerisch seien, etwas über die Hälfte neige der Aussage zu, Hartz-IV-Bezieher hätten "nichts Richtiges" zu tun.

Dem gegenüber stünden statistische Fakten, nach denen nur rund ein Viertel der Hartz-IV-Bezieher tatsächlich arbeitslos ist. Der Großteil sei erwerbstätig, in Ausbildung oder Qualifizierungsmaßnahmen oder mit der Pflege oder Erziehung von Angehörigen beschäftigt und stehe daher dem Arbeitsmarkt derzeit nicht zur Verfügung.

Für 5,8 Millionen Menschen bedeute Hartz IV nicht nur Armut, sondern immer auch soziale Ausgrenzung, kritisierte Helena Steinhaus vom Verein Sanktionsfrei. Am stärksten sei in den Köpfen das Bild vom Hartzer in der Hängematte verankert: "Solche Bilder sind Fake", sagte Steinhaus. Tatsächlich sei jeder dritte Hartz-IV-Bezieher ein Kind. Jede dritte alleinerziehende Mutter müsse von der Grundsicherung für Arbeitslose leben. Fast alle wollten arbeiten, viele Betroffene leisteten unbezahlte Care-Arbeit oder arbeiteten im Niedriglohnsektor und müssten aufstocken. "Wenn wir Hartz IV verbessern wollen, müssen wir Vorurteile bekämpfen", betonte Ulrich Schneider.